piwik no script img

„Parteien? Alles nur leeres Gerede“

Die Ägypter wählen ein neues Parlament/ Die meisten Oppositionsparteien befürchten Betrug — und boykottieren die Wahl  ■ Aus Kairo Leila Burhani

Heute finden in Ägypten Parlamentswahlen statt. 16 Millionen Ägypter sind offiziell zum Urnengang aufgerufen. Kandidierten bei den letzten Wahlen von 1987 noch landesweite Parteienlisten, so streiten sich diesmal 2.773 Kandidaten um 444 Direktmandate. Im Mai dieses Jahres hatte das Verfassungsgericht das alte Wahlgesetz und damit auch das Parlament selber sowie all seine Beschlüsse für verfassungswidrig erklärt. Der Grund: Unabhängige Kandidaten seien gegenüber Parteilisten benachteiligt gewesen.

Um zu beweisen, daß nicht das Verfassungsgericht, sondern der Präsident das letzte Wort hat, ließ Husni Mubarak am 11.Oktober noch einmal in einem Referendum über die Auflösung des Parlaments abstimmen; gegen den Protest der Opposition, die darin einen Bruch des Gebots der Gewaltenteilung sah.

Kairo, sechs Tage vor den Wahlen: „Der Revolver ist die Stimme des Arbeiters und nicht des Herrn. Wir schlafen zu zehnt in einem Raum, und die Herren tragen Klamotten von Yves Saint Laurent!“ Ein Häuflein von 50 Männern und Frauen schiebt sich — Parolen schreiend — hinter einem Suzuki- Transporter her. Auf dem Wagen prangt ein überlebensgroßes Plakat mit einem Revolver. Die Demonstranten sind Mitglieder der sozialistischen Tagammu-Partei. Sie werben für ihren Kandidaten Fathi Mahmud. Fathis Erkennungszeichen ist der Revolver. Es wurde ihm vom Wahlausschuß zugeteilt, damit auch Analphabeten ihn auf dem Stimmzettel identifizieren können. Eigentlich sind Demonstrationen in Ägypten aufgrund des 1981 verhängten Ausnahmezustandes verboten. Fathis Wahlkundgebung am nächsten Tag wurde daher verboten.

Ohnehin war es innerhalb der Tagammu umstritten, ob man sich an den Wahlen beteiligen oder sich dem Boykott vieler anderer Oppositionsparteien anschließen soll. Mit der Tagammu, den Grünen, der Umma- Partei, der Partei „Junges Ägypten“ sowie der Demokratischen Unionspartei treten gegen die regierenden Nationaldemokraten nur Kräfte an, die nicht im alten Parlament waren. Die bürgerlich-liberale Neue Wafd- Partei, die Liberalen sowie die Sozialistische Arbeiterpartei (SLP), die mit den als eigenständige Partei nicht zugelassenen Moslembrüdern zusammenarbeitet, boykottieren die Wahlen.

Wahlbetrug sei in Ägypten eher die Regel, meinen die Wahlhelfer von Fathi Mahmud. „Es gibt Leute“, berichtet einer, „die einmal als Ali, dann als Mahmud und schließlich als Hassan wählen. Sie machen am Wahltag die Runde von Wahllokal zu Wahllokal, ohne daß der staatlich ernannte Wahlleiter nach ihren Ausweispapieren fragt.“ „Und außerdem“, fügt ein anderer hinzu, „gibt es in den Wahllisten Ägypter, die nicht wahlberechtigt sind. Entweder weil sie längst tot sind, oder seit Jahren im Ausland leben.“

Zum ersten Mal kandidiert auch die Grüne Partei Ägyptens. Gegründet wurde sie vom Wiederentdecker des pharaonischen Papyrus, Hassan al-Ragab. Das Büro der Grünen, eine Blechhütte am Ufer des Nils, ist trotz der heißen Wahlkampfphase geschlossen. Ein Alter vor der schäbigen Hütte meint: „Grüne? Grüne? Mich interessieren Parteien nicht. Es ist sowieso alles leeres Gerede.“ Den Grünen Ägyptens geht es indes nicht um die Verschmutzung des Nils oder um die Umweltbelastungen durch die rapide Industrialisierung des Kairoer Großraums. Ihr Slogan lautet: „Gegen die Verschmutzung der Moral!“

„Wir fordern schließlich nicht mehr als die Einhaltung der Verfassung,“ sagt Ali Amasch, Sprecher der Arbeiterpartei. „Seit dem Amtsantritt von Mubarak wurden alle Parlamente vorzeitig vom Verfassungsgericht für verfassungswidrig erklärt. Und auch dieses Parlament ist wahrscheinlich wieder eine Totgeburt.“ Der Rechtsanwalt Abdel Halim Mandab hat bereits beim obersten Verwaltungsgericht Verfassungsbeschwerde gegen das neue Wahlgesetz eingelegt. Am 19.Dezember soll darüber entschieden werden, ob der Einspruch ans Kairoer Verfassungsgericht weitergeleitet wird.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen