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Archiv-Artikel

Partei der Rotjacken

Polizeiliche Konfliktmanager können „Rationalität in einen Streit bringen“ und so dazu beitragen, Gewaltpotenziale abzubauen. Von Demonstranten wie Polizisten wird ihr Job zunehmend akzeptiert

Polizei-Bilanz: „Die wendländische Konfliktkultur ist gewaltfreier geworden“

von Anja Humburg

Sie fallen auf mit ihren roten Jacken. Verblüffend ähneln sie den Sanitätern – stände da nicht auf ihrem Rücken in dicken schwarzen Lettern das Wort Konfliktmanagement geschrieben. Seit 2001 wandern die polizeilichen Lotsen in Zweierteams stets zur Castorzeit im November durch das Wendland. Sie dolmetschen zwischen dem gelb-schwarzen und dem grün-weißen Sprachrohr.

„1997 gipfelte die Zahl der verletzten Polizeibeamten in 56, auf der Demonstrantenseite sah es damals nicht anders aus“, erinnert sich Eckhard Gremmler, Direktor des Sozialwissenschaftlichen Dienstes (SWD) der Polizei Niedersachsen. Er entwickelte das Konzept des polizeilichen Konfliktmanagements – zur Deeskalation speziell für die Einsätze in Gorleben, aber auch bei rechten Demonstrationen. Seitdem sind die Konfliktmanager Beschwerdeinstanz für Bürger, Botschafter des Einsatzleiters, agieren als Verhandlungsführer und Schlichter und halten Kontakt mit den Leitfiguren der Protestgruppen. „Sie übersetzen die Polizeisprache und erklären den Beamten die Absichten der Demonstranten, haben jedoch keine Entscheidungskompetenz,“ räumt Sozialwissenschaftler Gremmler ein.

Die Konfliktmanagerinnen und -manager – sie alle machen ihren Job freiwillig – haben eine mehrmonatige Ausbildung hinter sich, in der sie auf Stress- und Streitsituationen geschult werden. Im Alltag arbeiten sie als polizeiliche Verhaltenstrainer. „Schon vor der heißen Phase gehen sie Klinken putzen. Sie knüpfen lose Kontakte mit Anwohnern, Demonstranten, Kirchenvertretern. Dabei erklären sie, wer sie sind, wo sie helfen können und lassen für alle Fälle ihre Telefonnummer da“, erklärt Gremmler. Während des Einsatzes nehmen die Konfliktmanager an Supervisionssitzungen teil. Aber sie selbst passten nicht in die Sparte Supervision, denn „sie sind Partei“, stellt er klar.

Beim Castor-Transport im November 2004 standen 13.000 Polizisten etwa 5.000 Demonstranten gegenüber. Was können zwölf Teams à zwei Manager bei solch einer Relation bewirken? Einiges, meint Gremmler, und gibt ein Beispiel für die besonders in heiklen Situationen „notwendige Brückenfunktion“ der Rotjacken: „Erstmals starb an diesen Castortagen bei einer Ankettaktion an den Schienen ein junger Franzose. Seismographisch verzeichnete das Stimmungsbarometer auf beiden Seiten eine Zuspitzung hin zur Aggressivität.“ Einsatzleiter und Konfliktmanager setzten sich sofort mit den Vertretern aller Protestgruppen zusammen. Pastoren und Konfliktmanager moderierten. Der Forderung der Protestler, den Zug einen Tag zu stoppen, wurde zwar nicht nachgeben, aber eine gemeinsame Absichtserklärung formuliert.

Im Gegensatz zu den niedersächsischen Kollegen übte Rüdiger Bredthauer, inzwischen Dozent an der Hamburger Polizeiuni, den Job hauptberuflich aus. Für den Sozialwissenschaftler können Konfliktmanager „Rationalität in einen Streit bringen“. Das Problem: „Beiderseits werden sie höchst kritisch beäugt, die Vermittler sind zum Teil massiven Verdächtigungen hinsichtlich ihrer Loyalität ausgesetzt. Es fehlt an Empathie.“ Viele Polizisten verstünden das Konfliktmanagement als Kritik an „normalen“ polizeilichen Maßnahmen. „Das können wir doch alleine!“, sei eine typische Reaktion. Bredthauer mahnt: „Der Verzicht auf Gewalt wird in unserer Gesellschaft nicht klar genug belohnt.“

Seine Methode ist „Mediation unter vier Augen mit der Protestszene Nahestehenden“. Den niedersächsischen Konfliktmanagern fehle dieser vertrauliche und intensive Umgang, konstatiert Bredthauer. „Weil sehr viele, auch angereiste Gruppen unterschiedlicher politischer Coleur an dem Protest teilnehmen“, sei Gewaltprophylaxe im Wendland in der Tat „eine sehr schwere Aufgabe“.

Dennoch: Die wendländische Konfliktkultur sei, bis auf einige Ausnahmen, eine gewaltfreiere geworden, bilanziert Gremmler. Den Konfliktmanagern sei dieser Erfolg zumindest anteilig zu verdanken. Jetzt müssten die Erfahrungen etwa in Form von kontinuierlichen Fortbildungen umgesetzt werden. Noch in diesem Jahr soll das Konfliktmanagement landesweit institutionalisiert werden. Eine feste Aufrufeinheit werde dann „das ganze Jahr über greifbar sein“ und versuchen, ein feinmaschigeres und nicht bloß zeitlich begrenztes Netz in die Szene zu spinnen.

Solange die Konfliktmanager keine Entscheidungen treffen dürfen, bleiben sie für Egon Maierhofer indes „ein rotes Tuch, so rot wie ihre Jacken“. Der ehemalige Pastor der Gemeinde Hitzacker hat seine eigene Methode, um Gewaltpotenziale zu entschärfen. Im vorigen Jahr postierte er sich inmitten einer Treckerblockade, sang Kirchenlieder und schweißte mit seiner Predigt Atomkraftgegnerinnen und -gegner aller Couleur und sogar einige lauschende Polizisten für diesen Moment friedlich zusammen.