Parlamentswahlen in Griechenland: Land der ungehorsamen Wähler
Das griechische Volk steckt in der Klemme: Die Parteien, die das Land heruntergewirtschaftet haben, bieten politische Stabilität. Eine Alternative besteht aus Rechtsextremen.
ATHEN taz | Es ist die spannendste Parlamentswahl in Griechenland seit dem Ende der Militärdiktatur 1974. Insgesamt 32 Parteien und Gruppierungen buhlen um die Gunst der Wähler; anders als in der Vergangenheit geht es an diesem Sonntag nicht nur um den klassischen Lagerkampf zwischen links und rechts, sondern in erster Linie um die Entscheidung für oder gegen die umstrittene Sparpolitik.
Aus Sicht der machtverwöhnten Volksparteien sieht das Wahldilemma so aus: Entweder die Griechen entscheiden sich für die proeuropäischen Kräfte oder sie erliegen in ihrer Wut der Versuchung, Extremisten und Ewiggestrige zu wählen, womit die Zukunft des Landes auf dem Spiel stehe. „Die Griechen müssen eine klare Antwort auf die Frage geben, ob sie einem proeuropäischen Kurs folgen“ sagt Sozialistenchef Evangelos Venizelos.
Auch der Vorsitzende der Konservativen, Antonis Samaras, der in allen Umfragen führt, aber keine Aussicht auf die absolute Mehrheit hat, will stabile politische Verhältnisse: „Wenn das Land unregierbar wird, kommen wir nie aus der Krise. Ich brauche doch einen deutlichen Regierungsauftrag, damit wir die Wirtschaft ankurbeln und in Europa verhandeln können“, erklärte er auf einer Wahlkampfveranstaltung im westgriechischen Patras.
Nach der Wahl droht Griechenland eine neue Debatte über den Ausstieg aus dem Euro. Zwar stufte die Ratingagentur Standard & Poors die Kreditwürdigkeit des Landes gerade wieder herauf. Doch wenn die neue Regierung das Spardiktat der Eurogruppe nicht auf Punkt und Komma umsetzt, droht eine neue Krise.
Bei einem Sieg der eurokritischen Parteien könnte das Land aus der Währungsunion aussteigen. Dabei fällt die Entscheidung wahrscheinlich nicht einmal in Athen. Wenn die Gläubigerstaaten - allen voran Deutschland - Zweifel an der Umsetzung der Sparmaßnahmen haben, können sie den Geldhahn jederzeit zudrehen.
Denn die neuen Hilfskredite über 130 Milliarden Euro sind an strikte Konditionen wie Einsparungen, Lohnkürzungen und Privatisierungen gebunden. Außerdem wird das Geld auf ein Sperrkonto überwiesen, aus dem vorrangig die Gläubiger bedient werden.
Dass es Spannungen geben wird, davon sind die meisten Experten in Brüssel überzeugt. Die neue Athener Regierung werde versuchen, Verhandlungen über ein neues Wachstumsprogramm zu beginnen, glaubt Jannis Emmanouilidis vom Brüsseler Thinktank EPC.
Andere Experten sorgen sich, dass das Hilfspaket nicht reichen wird. Früher oder später werde die neue Regierung daher in Brüssel um weitere Gelder bitten. Wenn die Eurogruppe dann nicht mitzieht, geht das Land pleite. (Eric Bonse, Brüssel)
Das hört sich vernünftig an. Nur: Waren es nicht die beiden Volksparteien, die in den vergangenen vierzig Jahren das Land heruntergewirtschaftet haben?
Wie kann es sein, dass ausgerechnet diese Politiker sich heute als Garanten für Stabilität aufspielen und so tun, als wäre nichts geschehen? Diese Fragen gehen den Wählern nicht mehr aus dem Kopf. Bei den letzten Wahlen 2009 konnten die Sozialisten und die Konservativen zusammen über 75 Prozent der Stimmen auf sich vereinen. Laut Umfragen werden sie etwa 40 Prozent bekommen. Das würde nicht einmal für eine große Koalition reichen. Allerdings begünstigt das griechische Wahlrecht die größeren Parteien.
„Wenn die Umfragen stimmen, dann bricht das politische System zusammen“, kommentiert der angesehene Journalist Giorgos Lakopoulos in der Athener Zeitung Ta Nea. „Aber was kommt an dessen Stelle? Heute sitzen vielleicht mittelmäßige Leute im Parlament, aber nach der Wahl haben wir mit richtig gefährlichen Typen zu tun“, befürchtet Lakopoulos.
Damit gemeint sein dürften vor allem Parteien, die rechts von der Nea Dimokratia angesiedelt sind. Sowohl die Schlägertruppe der Chryssi Avgi (Goldene Morgendämmerung) als auch die antideutsche Partei des Dampfplauderers Panos Kammenos (Unabhängige Griechen) und die Rechtsradikalen unter Führung des Exbodybuilders Giorgos Karatzaferis (Laos) rechnen sich gute Chancen aus, die Dreiprozenthürde zu überwinden und ins Parlament zu ziehen. Kommentatoren warnen vor „Weimarer Verhältnissen“ und liegen damit auf gleicher Linie mit den Volksparteien, die stabile politische Verhältnisse fordern.
Die Linke vermutet dahinter eine „Erpressung der Wähler“. Aber was hat sie dem entgegenzusetzen? Jedenfalls kein gemeinsames Konzept. Während etwa die gemäßigte Demokratische Linke den Verbleib Griechenlands in der EU befürwortet, will die orthodoxe Kommunistische Partei (KKE) das „Europa der Monopole“ zu Fall bringen. Eine Mittelposition nimmt die Koalition der radikalen Linken (Syriza) ein.
Laut Umfragen kämen alle Linksparteien zusammen auf 35 Prozent der Stimmen. Einen Vorschlag des Syriza-Chefs Alexis Tsipras für die Zusammenarbeit linker Kräfte wies die Generalsekretärin der orthodoxen Kommunisten Aleka Papariga mit ironischem Unterton zurück: „Herr Tsipras hat diesen Vorschlag wohl nur deswegen unterbreitet, weil er sich sicher war, dass wir ihn ablehnen würden.“
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