piwik no script img

Parlamentswahl in KanadaKüsschen statt Kopftuch

Mit antiislamischen Parolen kämpft der amtierende Premierminister Stephan Harper um seine Wiederwahl. Im Zentrum der Debatte: der Gesichtsschleier.

Ein Kuss in aller Öffentlichkeit als politische Manifestation gegen das fremde Andere. Foto: ap

CALGARY taz | Sollten die Kanadier am Montag ihren Premierminister Stephen Harper doch noch einmal im Amt bestätigen, dann werden viele Beobachter sich an den 9. Oktober erinnern. An jenem Tag legte Zunera Ishaq in einem Vorort von Toronto ihren Eid als neue kanadische Staatsbürgerin ab. Die vierfache Mutter trug dabei einen Niqab, einen muslimischen Gesichtsschleier, wie er in ihrem pakistanischen Geburtsland nicht unüblich ist.

Die Szene wäre eigentlich nicht der Rede wert in einem Land, das für seine liberale Einwanderungstradition bekannt ist und dessen Verfassung Multikulturalismus als Staatsziel festschreibt. Doch der konservative Premier nahm die Zeremonie zum Anlass, um seinen müden Wahlkampf zu munitionieren. Der Gesichtsschleier von Zunera Ishaq kam ihm gerade Recht.

Der Premier setzte auf schrille antiislamische Töne, um Themen wie die Rezession, die niedrigen Ölpreise oder die stagnierende Arbeitslosigkeit klein zu halten. Seitdem gleicht der Wahlkampf im beschaulichen Kanada eher einem Kulturkampf. Der Niqab sei Ausdruck einer frauenfeindlichen und unkanadischen Kultur, kritisiert Harper und überzieht das Land mit Fernsehspots, die mit antiislamischen Ressentiments gespickt sind.

So will er das Tragen des Schleiers bei der Einbürgerung verbieten, obwohl Gerichte im Falle von Zunera Ishaq mehrfach festgestellt hatten, ein Verbot sei verfassungswidrig. Darüber hinaus will Harper das Tragen des Niqab nach französischem Vorbild im gesamten öffentlichen Dienst unterbinden. Er will verurteilten Terroristen die kanadische Staatsbürgerschaft entziehen und im Falle seiner Wiederwahl eine Polizeihotline einrichten, bei der Bürger sogenannte „barbarische kulturelle Praktiken“ anzeigen sollen.

Syrische Christen bevorzugt

Harper schreckt auch vor einer diskriminierenden Flüchtlingspolitik nicht zurück. So ließ er bei der geplanten Aufnahme syrischer Flüchtlinge bei den Behörden intervenieren mit dem mutmaßlichen Ziel, syrische Christen und andere religiöse Minoritäten bevorzugt nach Kanada einwandern zu lassen und weniger Flüchtlinge muslimischen Glaubens.

Die größte Tageszeitung des Landes, der Toronto Star, sprach in einem Leitartikel von „billigen und gehässigen Wahlkampfmanövern“, bei dem Muslime pauschal zu Sündenböcken gestempelt würden. Die Mitte-rechts angesiedelte Globe and Mail schrieb von einer „zynischen Angstmacherei“ und einem herben Rückschlag für die Willkommenskultur des Landes.

Die Debatte wird mittlerweile so hitzig geführt, dass sich der muslimische Bürgermeister der Millionenstadt Calgary, Naheed Nenshi, eingeschaltet hat. Harper spiele mit dem Feuer, warnte Nenshi. Tatsächlich kam es zu Übergriffen gegen muslimische Frauen, zunächst in Toronto, später in Montréal. Wie sich die Niqab-Debatte auf die Wahl auswirken wird, ist noch unklar, denn das absolute Mehrheitswahlrecht erschwert Prognosen ungemein.

Derzeit liegt Harper in Umfragen knapp hinter dem Chef der Liberalen, Justin Trudeau, zurück. Der Sohn des ehemaligen Premierministers Pierre Elliott Trudeau hat sich in der Debatte klar für die Rechte religiöser Minderheiten ausgesprochen und Frauen mit Niqab verteidigt. Die meisten Kanadier lehnen den Schleier Umfragen zufolge ab, insbesondere im französischsprachigen Landesteil Québec. Dort hat sich Harper die antiislamischen Töne der Québecer Nationalisten und Separatisten zu Eigen gemacht. Den Zahlen zufolge scheint er dort tatsächlich aufzuholen.

Andernorts ist das Meinungsbild nicht ganz so eindeutig. Kanadische Wahlen werden meist in den bevölkerungsreichen Speckgürteln der Millionenmetropolen Toronto, Montréal oder Vancouver entschieden, wo traditionell viele Wähler mit Migrationshintergrund leben. Dort dürften Harpers Parolen auf weniger Resonanz stoßen.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

2 Kommentare

 / 
Kommentarpause ab 30. Dezember 2024

Wir machen Silvesterpause und schließen ab Montag die Kommentarfunktion für ein paar Tage.
  • 7G
    70023 (Profil gelöscht)

    Wie ich sagte. Der Westen schwätzt gerne über die Werte, die sie nicht haben. Das muss ja nichts heißen. Rassismus kostet ja nichts. Scham haben sie schon lange nicht.

  • Chapeau, herr Harper! Wäre es nur überall so!