Parkourläufer: Mutproben für den Ernstfall

Mit dem Körper allen Techniken überlegen sein - das ist die Fantasie der Parkourläufer. Ein Sport, eine Kunst, eine Philosophie - und eine Geschichte der Anpassung.

Parkourläufer springt durch den Pariser Vorort La Defense Bild: dpa

Vor ein paar Monaten ging ein Raunen durch die Parkourgemeinde: Gerade war der neue "Mr. Bean" im Kino angelaufen, und was Rowan Atkinson in dem Film zeigte - in einer Szene marschiert er schnurstracks durch Paris, von La Défense bis zum Gare de Lyon -, sah in den Augen einiger Kenner stark nach einer Parodie auf ihren Sport aus. Immerhin geht es bei Parkour um genau das: auf geradem Wege, möglichst entlang der Luftlinie, von A nach B zu kommen. Nichts anderes schien Atkinson in Paris - Hindernisse wie Fußgänger, Autos et cetera komplett ausblendend - zu tun. Allerdings zeigte Atkinson dabei nichts, was man in den letzten Jahren gelernt hat, mit Parkour zu assoziieren: weder halsbrecherische Sprünge von Häusern noch an Special Effects aus dem Actionkino erinnernde Sprints an Wänden hinauf. Doch keine Parodie?

An welchem Punkt das sture Geradeaus beginnt, Merkmale des Parkours zu tragen, und wann genau Parkour zur Show wird, diese Fragen ließen sich bereits 1997 schwer beantworten, als David Belle, der Begründer von Parkour, seine neue Fortbewegungskunst zum ersten Mal vor Publikum vorführte. Damals, in Lisses, einer Pariser Banlieue, war sein Ziel, sich seine Umgebung ohne Hilfsmittel - außer dem eigenen Körper - intelligent zu Eigen zu machen. Gemeinsam mit seinem Freund Sébastien Foucan deutete Belle, der Sohn eines Vietnamkriegsveteranen, Barrieren zu Chancen um. Sie entwickelten eine Art urbaner Bewegungsphilosophie, nach der Konzentration und effizienter Einsatz von Körperkraft beim Überwinden von Treppengeländern, hohen Zäunen oder auch Bussen die obersten Maximen sein sollten. Das ist ein Denksport genauso wie ein Leistungssport.

Zigtausend Amateurvideos dokumentieren inzwischen auf YouTube die typischen Manöver der Traceure, wie Parkourläufer auch genannt werden: Man sieht Jugendliche, meistens männlich, scheinbar mühelos auf Vordächer hüpfen und sich an Zäunen entlanghangeln. Sie schwingen sich, Spiderman gleich, auf Garagen und lassen sich von dort aus zielsicher auf Mülltonnenhäuschen fallen. Obwohl Parkour gemäß seinen Erfindern keinen Mutproben- und auch keinen Wettbewerbscharakter haben durfte, trat der Sport weltweit einen Siegeszug an. Die Traceure erkannten in der Mischung aus militärischem Survivaltraining und kampfkunstgeschulter Körperdisziplinierung eine ideale Fußgängerselbstermächtigungstechnik. Perfekt für Zeiten, in denen einem im hochgerüsteten Großstadtdschungel von allen Seiten SUVs, Querfeldeinkinderwagen und Dirtbikes vermitteln: Es gibt kein Hindernis - außer der Stadt und ihren Fußgängern.

Parkour mag einem Techniken an die Hand geben, sich im Ernstfall überall aus dem Staub zu machen, als problematisch erwies sich für den Sport bislang allerdings seine mediale Präsentation: Die YouTube-Videos sind oft auf Tempo geschnitten - verzichten also etwa darauf zu zeigen, dass zu einem sogenannten Armsprung von Hauswand zu Hauswand auch noch eher unelegantes Sichhochziehen und Kraxeln gehört.

Auch diverse Musikvideos, in denen Traceure mitspielten, strichen eher das spektakulär Halsbrecherische des Sports heraus. Mehr noch als die Gefahr, als "Jackass"-Konkurrenten missverstanden zu werden, scheint die Erfinder des Parkours allerdings die Frage zu beschäftigen, wie sich für sie mit einem Sport, der auf Wettbewerb verzichtet und der im Grunde keine spezielle Ausrüstung erfordert - David Belle erklärt sogar, Parkour gerne barfuß zu praktizieren -, längerfristig ein Lebensunterhalt sichern lässt. Die Antwort lautet: nicht ohne spürbare Reduktion der Prinzipien.

Sébastien Foucan, der Weggefährte Belles, gründete vor etwa fünf Jahren seinen eigenen Sport: Free Running. Zwar basiert Free Running auf Parkour, allerdings darf man als Free Runner ohne schlechtes Gewissen auch Salti schlagen: Akrobatik, im Parkour als überflüssig und angeberisch verpönt, gehört zum guten Ton. Längst scheint Free Running sich zum viel größeren Trend zu entwickeln als Parkour: Im April ist ein Game für die Playstation erschienen, der Sportartikler K-Swiss hat soeben einen eigenen Schuh für den Sport auf den Markt gebracht (Werbeslogan: "Over. Under. Through"), mittlerweile gibt es in zahlreichen Ländern Meisterschaften, und Foucan selbst durfte zuletzt sogar in einem James-Bond-Film mitspielen: Er war es, der Daniel Craig in der Eröffnungssequenz von "Casino Royale" zu seinem Bond-Einstand über schwindelerregend hohe Baukräne jagte.

David Belle bemüht sich in Interviews zwar, Foucan gegenüber versöhnliche Töne anzuschlagen, mittlerweile scheint der 33-Jährige aber beschlossen zu haben, sich nicht die Butter vom Brot nehmen zu lassen: Vor wenigen Wochen hat er in Tschechien die Dreharbeiten zu Mathieu Kassovitz neuem Science-Fiction-Thriller "Babylon A. D." abgeschlossen, für den er Parkour- und Stuntszenen choreografierte. "Im Film geht es um Entertainment, also mache ich Entertainment - auch wenn ich mich eigentlich nicht dafür interessiere", erklärte Belle im April dem New Yorker. Der Ironie, dass er, ursprünglich ein Asket der Straße, plötzlich an der Seite von Hollywoodmuskelprotz Vin Diesel steht, scheint er sich bewusst zu sein.

Ende August wird Belle nun bei einer von einem großen Kaugummihersteller gesponserten Veranstaltung in Berlin auftreten. "In einer atemberaubenden Inszenierung wird David Belle die Sportart Parkour zu einem noch nie dagewesenen Erlebnis machen", heißt es in der Ankündigung zur "Big Box Parkour Night" im U-Bahn-Tunnel unter dem Reichstag. Showspektakel, Muskelspiel, Stuntthrill: Mit dem Grundgedanken von Parkour hat das nur wenig zu tun. Vielleicht sogar noch weniger als ein Mr. Bean, der im Stechschritt durch Paris marschiert.

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