piwik no script img

zeo2

Parkhäuser als urbane Nutzfläche Grauer Unort, bunter Freiraum

Parkhäuser, die Betonklötze der Innenstadt? Theater, Dachgärten und Kunstausstellungen ziehen neu ein.

Ein graue Parkblock in Düsseldorf mit Goldkettchen als Teil eines Kunstprojektes. Bild: dpa

DEUTSCHLAND zeo2 | Nichts erinnert an die alten Zeiten. Damals dampften hier im Hinterhof eines Berliner Mietshauses noch die Rösser, die Geschirre rasselten und schwere Lederstiefel knirschten, wenn die Fuhrleute ihre Kutschen und Tiere unterstellten. Lange her. „Solche Remisen gibt es noch in vielen Häusern, früher waren sie für die Versorgung der Pferdefuhrwerke da. Heute sind sie für uns ein einzigartiger Wohnraum“, sagt Hausbewohnerin Bettina aus Berlin-Neukölln.

Sie ist damit in guter Gesellschaft: Alte Stallungen sind heute begehrte Immobilien, das Spektrum der Nutzungen ist groß. Mal werden sie wie in Hamburg in schöne Tagungsräume umgebaut, mal zieht wie im noblen Londoner „Mayfair“ ein exklusives Speiselokal in den Pferdestall ein. Eines haben diese Orte aber gemeinsam: Sie alle zeugen noch heute von einem längst untergegangenen Kapitel in der Verkehrsgeschichte.

Nach der Erfindung des Dieselmotors verschwanden die Pferdefuhrwerke rasch von den Straßen der Städte. Mit den Remisen blieb ein Gebäudetypus zurück, der ein Anachronismus zu werden drohte. Wie sich heute zeigt, konnte er jedoch kontinuierlich an die Bedürfnisse der neuen Zeit angepasst werden. Statt Pferdefuhrwerke rollen heute Autos durch die Straßen unserer Städte.

Ein großer Bedarf an Parkplätzen

Obwohl sie als Fahrzeuge bezeichnet werden, stehen sie im Durchschnitt rund 23 Stunden am Tag still. Parkraum ist somit ein wertvolles und rares Gut geworden. Neben den Parkplätzen an Straßen und Wegen sichern Tiefgaragen und Parkhäuser den über die letzten Jahrzehnte fast naturgesetzlich gewachsenen Bedarf.

Wie viele Parkplätze es in Deutschland tatsächlich gibt, ist nicht bekannt. Jedoch sind allein im deutschen „Bundesverband Parken“ die Betreiber von mehr als 2.500 Garagen und Parkhäusern organisiert, die gemeinsam über rund eine Million Stellplätze verfügen. Dieser riesige Bestand wurde, wie auch in anderen Ländern Europas, vor allem in den Jahrzehnten des Wirtschaftswunders nach dem Zweiten Weltkrieg aufgebaut, zumeist von Kommunen oder mittelständischen Unternehmen.

Mit den Parkhäusern hat sich in dieser Zeit ein hochgradig spezialisierter Gebäudetyp ausgebreitet, der nur für einen einzigen Zweck konzipiert wurde: der Unterbringung möglichst vieler Autos. Wandlungsfähigkeit, Flexibilität oder Gebäudeschönheit sind bis heute im Parkhausbau kaum ein Kriterium. Ein Blick nach London, Berlin und in andere Städte zeigt jedoch, dass diese Bauten immer häufiger leer stehen.

Das Auto hat in den letzten Jahren viel von seiner Faszination verloren. Verstopfte Straßen, steigende Benzin- und Unterhaltskosten und intelligentere Alternativen haben es ausgebremst. So erregt der zunehmende Leerstand der Parkhäuser in Zeiten angespannter Immobilienmärkte natürlich das Interesse kreativer Köpfe. Kann man die großen Betonklötze auch anders nutzen?

Ein interessantes Beispiel ist das Parkhaus in der Cerise Road im Londoner Stadtteil Peckham. Kaum ein Passant in der geschäftigen Rye Lane dürfte bemerkt haben, dass wenige Meter neben dem alltäglichen Weg in Richtung Bahnhof oder zum Supermarkt erste zarte Vorzeichen eines historischen Wandels zu beobachten sind, der uns in der Verkehrsgeschichte bevorsteht.

Anonym und nichtssagend steht hier – wie an vielen anderen Orten in England – ein Parkhaus: Es residiert in der zweiten Reihe, ein wenig verborgen hinter der typischen High Street. Zu großen Teilen steht es leer, die mehr als 300 Parkplätze werden längst nicht mehr so intensiv wie früher genutzt.

Das Haus ist eine typische Altlast, aus den überoptimistischen Tagen der autogerechten Stadtplanung. Sie kostet den Southwark Council als Eigentümer eher Geld, als dass sie welches einbringt. Ein Ärgernis, dem man schleunigst mit der Abrissbirne begegnen sollte?

Sven Mündner, Historiker aus Hamburg, sieht das vollkommen anders. Er ist überzeugt, dass dieses Parkhaus in der Cerise Road ein unverzichtbarer Teil der kulturellen und sozialen Erneuerung im Süden Londons ist. Seit 2007 konnte er als einer der Leiter des Kunstprojekts „bold tendencies“ jedes Jahr mehr und mehr Besucher vom Potenzial und Charme des eigenwilligen Gebäudes überzeugen.

Gewagte, klobige Absichten

Allein im Jahr 2012 kamen 60.000 Besucher. Die Initiative bespielt die obersten vier Etagen des Parkhauses, hauptsächlich mit Skulpturen, die in der kargen Ästhetik der Parkdecks ein einzigartiges Umfeld finden. Daher auch der Name: Bold Tendencies könnte man mit „gewagte Absichten“ übersetzen, bold heißt aber auch klobig und schroff.

Neben den Kunstwerken begeistert bei dem Projekt vor allem die schlichte Art und Weise, mit der das Parkhaus für die Zwecke des Festivals adaptiert wurde. Für Paloma Gormley vom Architekturbüro „Practice Architecture“ war gerade wegen des rauen Ambientes ein behutsamer Umgang mit dem Gebäude erforderlich: „Für uns ging es um die Frage, wie ein Gegengewicht zum monolithischen Charakter des Parkhauses gefunden werden kann, ohne genau diesen Charakter zu verwaschen.“

Das Ergebnis steckt voller Poesie. Während ein Theaterauditorium aus Strohballen, eigens gegen die Brandgefahr imprägniert, einen intimen Rahmen für Performances und Theateraufführungen bietet, verschafft die mit geringsten Mitteln auf der Dachterrasse errichtete Bar dem Publikum eine spektakuläre Aussicht auf den Süden Londons.

Die Kunstpresse reagiert weltweit mit Begeisterung. Da wundert sich mancher: Warum rückt ausgerechnet ein Parkhaus, dieser marginalisierte, von vielen als hässlich empfundene Gebäudetypus, mit einem Mal in den Fokus von Kulturschaffenden, Architekten und Unternehmern?

Oft als graue Unorte gescholten, treffen dort heute zwei Treiber der Stadtentwicklung aufeinander. Die Suche nach alternativen Freiräumen, nach aufregenden und offenen Orten für kreative Nutzungen verbindet sich mit einem tiefgreifenden Wandel in der Mobilität – zumal in den hochverdichteten Innenstädten. Ein rätselhaftes Schattenwesen tritt plötzlich ins Licht, wachgeküsst durch Entwicklungen, die niemand bei der Errichtung von Abertausenden von Parkhäusern bedacht hatte.

Ein Blick in die Wirtschaftsseiten der Tageszeitungen genügt für ein erstes Verständnis, warum die stummen Zweckbauten des Automobilzeitalters plötzlich aus ihrer tradierten Rolle fallen: Seit Jahren verlieren die Hersteller von Automobilen in Europa dramatisch an Kundschaft.

Von einst 16 Millionen jährlich verkauften Autos brachen die Absatzzahlen auf zuletzt zwölf Millionen im Jahr 2012 ein. Auch dieses Jahr geht die Talfahrt weiter. In Deutschland ist die Zahl der Neuzulassungen von Pkw auf das Niveau der 1990er Jahre gesunken.

Hinter dieser dramatischen Entwicklung steht ein tiefgreifender Wandel. Das Auto tritt in der Wirtschaftskrise nicht nur aus finanziellen Gründen in den Hintergrund, sondern auch, weil es von vielen Menschen als unpraktisch erlebt wird und nicht mehr zum Lebensstil passt.

Bus, Bahn, Rad und ÖPNV

Hinzu kommt, dass Carsharing, Nachbarschaftsautos und flexible Leihsysteme für Fahrräder immer komfortabler zu nutzen sind und in Zukunft über gemeinsame Tarif- und Abrechnungssysteme auch noch besser mit dem öffentlichen Verkehr verzahnt sein werden.

Nicht zuletzt setzen viele Städte auf eine immer strengere Regulierung des Autoverkehrs, beispielsweise mit einer City-Maut oder mit Umweltzonen. Die Zahlen aus London zeigen, dass seit 2001 zwar das Verkehrsaufkommen im Großraum um elf Prozent angestiegen, die Zahl der Autofahrten aber um 13 Prozent zurückgegangen ist. In Berlin wird in vielen Bezirken das Auto schon heute nur mehr auf jedem vierten Weg genutzt.

Dennoch ist das Zeitalter des Pkw noch lange nicht vorbei, der Vergleich zwischen Parkhäusern und Pferdeställen ist zugegebenermaßen ein wenig konstruiert. Noch glaubt die Automobilbranche an einen nur vorübergehenden Einbruch. Und auch die Parkhausbetreiber bleiben tapfer: „Das Thema Leerstand im Parkhaus taucht zwar immer wieder auf – zumindest in Deutschland bewegt es aber noch nicht die Gemüter“, sagt Gerhard Trost-Heutmekers vom Bundesverband Parken. Zuletzt wurden hierzulande sogar zwei Parkhausfonds als Anlageinstrument mit Renditeversprechen von sechs Prozent und mehr aufgelegt.

Trotzdem bleibt da die Frage: Wie lange lässt sich dieses Versprechen noch halten? Droht die Entzauberung des Autos nicht immer mehr Parkhäusern die Nachfrage zu entziehen? Längst nicht alle sind wirtschaftlich ausgelastet. Selbst die rentablen Parkhäuser weisen immer wieder Leerstand auf. Bei länger anhaltender Unterauslastung ist zunächst wohl eine Preisanpassung das Mittel der Wahl. Doch das Parkhaus in der Cerise Road etwa steht zu weit mehr als der Hälfte leer.

Ursprünglich für einen Supermarkt errichtet, ist das Gebäude seit der Schließung des Standorts zu groß für den lokalen Bedarf an Parkplätzen. Ein Schicksal, das dieser Zweckbau mit vielen anderen Parkhäusern teilt, die wegen falscher Standortentscheidungen, überzogenen Nachfrageerwartungen oder zu viel Konkurrenz schon heute weitgehend ungenutzt sind.

Auch das Gebäudealter spielt eine Rolle, viele ältere Parkhäuser sind für größere Fahrzeuge wie dicke Geländewagen nicht mehr geeignet. Erhebungen in Großbritannien zeigen, dass mehr als 20 Prozent der untersuchten Parkhäuser über 40 Jahre alt sind – und somit aus einer Zeit stammen, als der kleine Ford Escort das meistverkaufte Modell war.

Wenn in Zukunft das Auto noch mehr Anteile am Mobilitätskuchen verliert und immer seltener zum Einsatz kommt, ist die Existenzgrundlage gerade von Parkhäusern in B-Lagen oder in Stadtteilen mit einem Überangebot an Parkraum bedroht.

Mitten in den urbanen Zentren wird dann plötzlich wieder Raum frei. „Dass eine Fläche leer steht, bedeutet aber nicht unbedingt, dass sie nicht gebraucht wird. Das Bedürfnis, diesen räumlichen Leerstand im Sinne eines vielfältigen Möglichkeitsraums und unterschiedlicher Nutzungsintensität neu zu interpretieren, ist groß.“ Wencke Hertzsch hat sich als Stadtplanerin und Stadtsoziologin in Wien intensiv mit dem Phänomen Leerstand beschäftigt.

Der Nutzen für die Nachbarschaft

Für sie liegt der Schlüssel erfolgreicher Nach- und Zwischennutzungskonzepte vor allem in sozialen und nachbarschaftsorientierten Lösungen. Neben der betriebswirtschaftlichen Bewertung sollte die Frage gestellt werden, welche Nutzungen für das Quartier attraktiv sind.

Und nicht zuletzt besitzt der Umgang mit leer stehenden Gebäuden auch eine Nachhaltigkeitsdimension, weil Abriss und Neubau immer die Vernichtung von bereits verbauter Energie und von wertvollen Baustoffen bedeuten.

Bereits seit 2010 steht in der Münsteraner Innenstadt, nur wenige Schritte vom Prinzipalmarkt entfernt, ein mehrfach preisgekröntes Geschäfts- und Wohngebäude. Es wäre nicht Münster, wenn nicht auch eine Fahrradgarage Platz gefunden hätte. Was das Gebäude aber besonders auszeichnet: Die Stahlbetonstruktur diente ursprünglich einem 1964 errichteten Parkhaus. Weil im Tiefgeschoss die Anlieferung eines benachbarten Kaufhauses abgewickelt wird, konnte der leer stehende Bau nicht abgerissen werden.

Den Architekten gelang es, diese Situation für ihren Entwurf zu nutzen. Matthias Fritzen, Partner im Büro „Fritzen und Müller-Giebeler“: „Die Betonstruktur schafft eine einzigartige Atmosphäre im Ladenbereich, und sie war die ideale Basis für den Aufsatz der Wohngeschosse.“ Auch andernorts ziehen immer häufiger neue Nutzer in Parkhäuser ein.

Sattelte zur letzten Documenta in Kassel ein Hotel auf ein Parkhaus aus den 50er-Jahren auf, so wird dieses Jahr im schwäbischen Tübingen Shakespeare im Parkdeck gespielt. Im Berliner Wedding bereitet sich eine Urban-Gardening- Initiative gemeinsam mit einer Einzelhandelskette darauf vor, das wenig genutzte Dachgeschoss des angeschlossenen Parkhauses für die Produktion von Obst und Gemüse zu verwenden.

Wenige Kilometer weiter, in Berlin-Neukölln, hat sich das selten genützte Parkdeck eines Einkaufszentrums nach Erwähnung in einem Reiseführer vom Geheimtipp zum Publikumsmagneten entwickelt. Die plötzliche Nutzung als Aussichts- und Partytreffpunkt stellte den Wachschutz vor erhebliche Herausforderungen, die Flucht nach vorn schien fast der einzige Ausweg. Vor kurzem eröffnete auf dem Parkdeck nun offiziell eine Bar mit Dachgarten. Auch Gemüse soll dort gepflanzt werden.

Währenddessen beschäftigen sich in London Architekten mit der Frage, wie mit Hilfe von Deckendurchbrüchen aus einem Parkhaus eine Schule werden könnte. Oder Wohnraum. Für das Parkhaus in Peckham Rye liegen bereits Entwürfe vor, die bis zu 90 Wohnungen in die bestehende Struktur integrieren. Gemeinsam mit dem Kunstfestival, einem Restaurant und der Bar im Dachgeschoss könnte aus dem so lange unbeachteten Gebäude ein dringend benötigter Motor für die Erneuerung eines ganzen Stadtteils werden.

Gerade in Zeiten, in denen innerstädtische Brachen und Freiräume kontinuierlich zurückgehen, stechen Parkhäuser also in vielen Städten immer mehr als Flächenreserve und als Rohbauten für neue Nutzungen hervor. Architektin Paloma Gormley sieht die grauen Zweckbauten wie „skulpturale Objekte ihrer Zeit“ und will ihre Eigenheit erhalten.

In den nächsten Jahren werden die meisten Parkhäuser weiterhin Autos beherbergen und durch eine kluge Verkehrspolitik womöglich mehr parkende Karossen aus dem öffentlichen Raum aufsaugen. Wenn der Leerstand jedoch weiter anhält oder noch zunimmt, dürfen wir gewiss sein: Es mangelt nicht an spannenden Ideen und ganz neuen überraschenden Nutzungskonzepten, die dann in diese „Pferdeställe der Moderne“ einziehen werden.

Wolfgang Aichinger, der Artikel ist erschienen in der Ausgabe zeo2 4/13.

Den Artikel können Sie gerne auf unserer Facebook Seite diskutieren.