: Pardon wird nicht gegeben
LAUDATIO Der Verbrecher Verlag feiert 2010 runden Geburtstag. Bereits jetzt fand die Jubiläumsveranstaltung seiner allwöchentlichen „Verbrecherversammlung“ im Monarch statt, bei der jeweils Gäste aus der Intelligenzija lesen
VON CHRISTIANE RÖSINGER
Nächstes Jahr feiert der Berliner Verbrecher Verlag sein 15-jähriges Bestehen. Aber am Dienstag wurde im Kreuzberger „Monarch“ ein vergleichbares Jubiläum gefeiert: zehn Jahre Verbrecherversammlung. Den Verlag mit seinen inhaltlich und preislich ansprechenden Büchern kann man gar nicht genug loben. Genauso wichtig wie das Büchermachen ist es aber auch, die Ware unter die Leute zu bringen. Und genau aus diesem Grund fand vor zehn Jahren, am 15. Dezember 1999, im Kaffee Burger die erste Verbrecherversammlung statt.
In unserer verlotterten Welt muss man Menschen, die sich nicht nur aus purer Gewinnerzielungsabsicht dem Veranstaltungswesen widmen, hoch schätzen. Und wer es wie die Herren Verbrecher geschafft hat, zehn Jahre lang wöchentlich ein Programm zu liefern, der verdient eigentlich das goldene Bundesverdienstkreuz am oder neben dem Bande. In zehn Jahren VV, wie die Insider sagen, wurde wöchentlich gelesen, getrunken und diskutiert. Es wurden Filme gezeigt, Comics vorgestellt und lichtbildgestützte Vorträge gehalten. Jim Avignon, Jens Friebe, Tanja Dückers, David Wagner, Almut Klotz, Sven Regener – die Verbrecher hatten sie alle zu Gast.
Ihr Durchhaltevermögen ist umso erstaunlicher, als seit zehn Jahren zumindest einer der Verleger immer vor Ort ist und lange bleibt. Bei einer Verbrecherversammlung schonen sich die Gastgeber in keiner Weise. Pardon wird nicht gegeben, und Wasser wird weder gepredigt noch getrunken.
Die Verbrecherversammlungen leben durch die besonderen Verleger- und Veranstaltungspersönlichkeiten der guten Bücheronkel Jörg Sundermeier und Werner Labisch. Dabei entwickelte und verfeinerte Jörg Sundermeier in den letzten Jahren längst verloren geglaubte Salontugenden. So hat er die seltene Gabe, jedem Gast, Autoren oder „Medienpartner“, das Gefühl zu geben, er sei etwas ganz Besonderes, über dessen spezielles Erscheinen man sich aus tiefstem Herzen freue. Und wenn auch die herzliche Begrüßung mitunter schnell unterbrochen wird, weil auch andere Gäste begrüßt, umarmt und integriert werden müssen, so vergisst er doch bei all dem Getümmel niemals, einem noch Getränkebons zuzustecken oder ein gut gefülltes Glas zu kredenzen. Dabei kennt der Verbrecherversammlungkosmos keine Hierarchien – es gibt niemanden, der bevorzugt würde.
Kein Wunder, dass es als ein arger Verlust für Mitte bejammert wurde, als Verlag, Versammlung und der Verleger nach und nach aus dem Zentrum wegzogen. Vielleicht lässt sich heute rückblickend sagen, dass dadurch schon die stückweise Verödung des Bezirks Mitte eingeläutet wurde. Aber jeder Ort der Verbrecherversammlungen hatte seine Schönheit. Herrliche Abende gab es damals noch im Kaffee Burger, als Max Müller aus „Musikcafé Wolfsburg“ las. Auch eine denkwürdige Silvesterlesung bleibt im kollektiven Gedächtnis; es muss um 2002 gewesen sein, man ging tatsächlich noch in Mitte aus und beobachtete herumstreunende Jugendgruppen interessiert, ohne sie gleich als wandelnde Hostelplage abzutun. Nach dem Umzug nach Kreuzberg lungerte man an einem Sommerabend auf den aufgeplatzten Sofas im Hof des Festsaals Kreuzberg herum und wartete auf Kirsten Küppers, die dann Gerichtsgeschichten aus „Kleine Beile“ las.
Aber auch relativ unspektakuläre Abende im Monarch hatten ihren Zauber: Jörg Sundermeier las aus den Sagen des klassischen Altertums, man hörte von Medeas Gräueltaten und schaute durch die großen, schrägen Fenster hinunter auf den friedlichen Kreisverkehr am Kottbusser Tor und sah die gelben Wägelchen der U 1 auf den Gleisen der Hochbahn vorbeizuckeln. Eine Idylle.
Eine Best-of-Lesung hatten die Verlagschefs zur Feier des Tages am Dienstag angekündigt, und so saßen beide vor den Visuals und lasen Texte von Gisela Elsner, Peter O. Chotjewitz, Sarah Schmidt und anderen und berichteten von den Anfängen, von Zeiten, als man noch Disketten als Druckvorlage abgab.
Sarah Schmidt hielt eine kurze, blumengestützte Dankesrede, und wies darauf hin, dass Sundermeier und Labisch auch bei schwach besuchten Abenden, anders als sonst bei Veranstaltern üblich, die Verantwortung für den Mangel an Besucherinteresse nie beim Künstler suchten, sondern in vorauseilendem Feingefühl „Du kannst nichts dafür, wir waren schuld“ riefen.
So sind sie, die Verbrecher, und genau so sollen sie noch lange weitermachen.