Papst-Kommentar: Event-Katholizismus in Wien
Papst Benedikt XVI. weilte für drei Tage in Österreich - und inszenierte die Kirche als unzeitgemässe Institution: je dogmatischer, desto besser.
F ür drei Tage war Papst Benedikt XVI. am vergangenen Wochenende in Österreich, wo er seine üblichen Thesen propagierte: Der Kontinent dürfe seine christlichen Wurzeln nicht verleugnen, mahnte er, und bekräftigte zugleich seine strikte Ablehnung von Abtreibungen und aktiver Sterbehilfe. Kritik am Papst kommt heute vorwiegend aus den Reihen der liberalen Katholiken: Sie werfen ihm vor, er würde den Dialog verweigern, keine Konzessionen an die Basis machen, die Ökumene brüskieren. Ihnen ist es unerträglich, dass er reinen Event-Katholizismus betreibe.
So berechtigt diese Vorwürfe auch sind, sie übersehen einen wesentlichen Punkt: Gerade das macht seine Stärke aus. Papst Benedikt ist nicht populär, weil er in der Ökumene Händchen hält und sich mit dem Kirchenvolk einlässt. Seine Stärke kommt vielmehr daher, dass er das alles nicht tut.
Bevor man das vorschnell mit einer "Respiritualisierung" und einer Rückkehr des Glaubens erklärt, solle man darin zunächst einmal eine Sehnsucht nach Autorität festhalten. Es ist allerdings keine gefährliche, unterwürfige, sondern eine gewissermaßen aufgeklärte Sehnsucht nach Autorität, denn sie sucht keine patria potestas, keine väterliche Gewalt in welcher Form auch immer. Die "vaterlose Gesellschaft" hat sich so weit realisiert, dass sie selbst noch die Rückkehr, die Suche nach neuen Autoritäten bestimmt: Denn das, was heute gesucht wird, ist eine gewaltlose, eine nichtautoritäre Autorität, die nur wie eine Orientierungsmarke funktioniert.
Der Papst ist eine ideale Besetzung für diese vakante Stelle, gerade weil er keine Zwangsgewalt mehr repräsentiert. Und: Der Papst wird bejubelt für seine Unzeitgemäßheit. Er reüssiert nicht als Papst der Jazzmessen, sondern als Dogmatiker. Das ist doppelt paradox: Nicht nur wird der Antizeitgeist plötzlich chic - seine Unzeitgemäßheit stellt sich auch noch in der zeitgemäßesten Form, dem Event-Katholizismus, dar: So kann der Papst als Archeront, als Aufhalter des Zeitgeistes, bejubelt werden wie ein Popstar.
Wenn jedoch der Papst ein Popstar ist, dann muss man hinzufügen, dass sich das Konzept des Popstars sehr verändert hat. Den Rolling Stones hat man zugejubelt, weil man sich mit den Gefühlen, die sie produziert haben, identifiziert hat. Beim Papst hingegen ist man ergriffen von der Fremdheit seiner Formenwelt, von einer Nichtidentifizierung also. Deshalb erhalten wir auch laufend mediale Lektionen, die uns in Kleidervorschriften, Rituale und lateinische Formeln einweisen - begonnen hat dies schon beim Begräbnisritual seines Vorgängers. So repräsentiert dieser Papst einen fremden Fixpunkt, der eine Kontinuität der Zeit bewahrt, die seinem Publikum längst abhanden gekommen ist.
Benedikt XVI. unterstützt dies, indem er jede Übersetzung des Katholizismus in eine heutige Semantik verweigert - bis hin zu seiner liturgischen "Kehre", der Rückkehr zur lateinischen Messe. Er positioniert die Kirche als unzeitgemäße Institution - zum Leidwesen der Linkskatholiken, aber zur Freude des Publikums. Denn während liberale Christen die mangelnde oder gar rückschreitende Demokratisierung der Kirche kritisieren, haben die anderen längst akzeptiert, dass sie eine undemokratische, dogmatische Institution ist.
Auch darin ist der päpstliche Popstar paradox. Wurden Popstars früher für ihren Ausbruch aus den vorgegebenen Strukturen gefeiert, so erhält der Papst Zuspruch gerade für die Repräsentation einer Institution. Daran zeigt sich der vielleicht markanteste Punkt des Phänomens: die Sehnsucht des Publikums nach Institutionen. Auf der Ebene der Theorie drückt sich diese in der Wiederentdeckung des Kirchengründers, des Apostel Paulus aus. Als Massenphänomen ist es bemerkenswert, da auch diese Sehnsucht, wie jene nach Autorität, "aufklärerisch" gebrochen ist. Die Suche bezieht sich auf verquere, unzeitgemäße, ja undemokratische Institutionen - wenn sie Formen für das Außeralltägliche bereitstellen.
Der Event-Katholizismus bedient diese Sehnsucht nach der Institution in idealer Weise: Er bietet die Möglichkeit, die Institution Kirche konsumieren zu können, ohne sich in dieser einreihen zu müssen. Dafür braucht es nicht nur eine dogmatische Institution, dafür gilt sogar: je dogmatischer, desto besser. Und darum sind die Kirchen leer - und die Papstmessen voll.
40.000 mal Danke!
40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Tabubruch der CDU
Einst eine Partei mit Werten
Jugendliche in Deutschland
Rechtssein zum Dazugehören
Jens Bisky über historische Vergleiche
Wie Weimar ist die Gegenwart?
Denkwürdige Sicherheitskonferenz
Europa braucht jetzt Alternativen zu den USA
Krieg und Rüstung
Klingelnde Kassen
Social-Media-Star im Bundestagswahlkampf
Wie ein Phoenix aus der roten Asche