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Pappis, Päntz und Projektionen

Die Deutsche Meisterschaft im Seifenkistenrennen zeigt: Es gibt noch Kulte und Kosmen  ■ Aus Duisburg Thomas Meiser

Auf der großen, runden Scheibe gibt es doch noch Mikrokosmen und Kulte, jenseits der Kameras und Mikrofone: Seifenkisten zum Beispiel. Deren Kosmos ist groß, immerhin fahren hierzulande knapp 100.000 in Vereinen registrierte Kids die Kiste zu Tal. Und während der Rennsaison von Mai bis September laufen mehr als 100 regionale Rennen. Davon nähme kaum jemand Notiz, wenn sich die Früchtchen nicht mit einem finalen Ereignis alljährlich aus dem Schattendasein emporrankten.

Meist findet es in Duisburg statt. Am vergangenen Wochenende wurde hier die 42. Deutsche Meisterschaft ausgefahren, von 170 TeilnehmerInnen von acht bis fünfzehn.

Gleich hinter der Abfahrtsrampe ist das Fahrerlager, die Kisten stehen tatsächlich in durchnumerierten Boxen. Zwei Bauweisen sind zu sehen: In der Juniorklasse fahren die acht- bis zwölfjährigen Kistenknirpse eine verwegene Kreuzung aus Schlichtsarg und Holzschuh. Die Seniorenkiste für die Zehn- bis Fünfzehnjährigen macht optisch wesentlich mehr her, sie ist auch viel aerodynamischer: Ihr Design ist der legendären Blue Flame nachempfunden, jenem zigarrenförmigen Raketenfahrzeug, das auf Uthas Salzseen den Geschwindigkeitsweltrekord aufstellte.

Ein Knirps ist gerade dabei, seine Juniorkiste hingebenungsvoll abzuledern, um den ungünstigen cw-Wert zu verbessern. Wie er in die Seifenkiste gekommen ist? „Mein Vater hat mich gefragt, ob wir nicht eine bauen sollen. Dann hat mein Vater die Kiste gebaut und ich bin damit gefahren.“

Die Väter sind die wahren Kistniks

Pappis, Päntz und Projektionen, das ist das Geheimnis des Kultes um die Kiste: Die Väter sind die wahren Kistniks, sie erschaffen sich das Objekt ihrer obskuren Begierde. Erst erzählen sie ihrem Fratz die Geschichte des kleinen Jungen, der so gerne einmal Seifenkistenrennen gefahren wäre. Dann schmirgeln und sägen sie wochenlang in den Hobbyräumen ihrer Reihenhäuser. Anschließend packen sie die Kiste auf den Dachgepäcktäger und fahren auf den Übungshügel.

Landesvater Rau kann das verstehen: „Wer mag wohl mehr Herzklopfen haben“, fragt er sich im Grußwort zur Meisterschaft, „die Fahrer und Fahrerinnen am Start oder so mancher Vater?“ Die Kleinen müssen in die Kisten, weil ihre Väter zufällig das Alterslimit überschritten haben.

Aber den Vätern bleibt im Rennen das Managment: Nervös eilen sie in der Boxengasse auf und ab, der Jogging-Overall ist bepflaster mit bedeutungssteigernden Bildausweisen: Betreuter, Zeitnehmer, Schiedsgericht, Streckensicherung. Untereinander bestätigen sich die Papis: „Unser Kistensport ist groß im Kommen“, sagt einer, „denn bald sind auch die DDRler voll dabei. Die machen aus 'nem Drahtnagel 'nen Panzer.“

Walkie Talkies krakelen. Den Kisten werden die Räder angedreht. Die Räder wurden vorher den FahrerInnen — die Mädchenquote beträgt 45 Prozent — zugelost. Damit soll geschlechterübergreifend Chancengleichheit sichergestellt werden.

Schmiermittel sind nicht erlaubt. Die Pressebetreuerin: „Der Rennerfolg hängt also nur vom Lenkverhalten ab.“ Ein Starter-Vater wuchtet mit dem Gabelstabler zwei Seniorkisten auf die Startrampe. Start frei. Mit maximal 60 Stundenkilometern rollen sie abschüssige 400 Meter weit, bis die Lichtschranke am Ziel sie erfaßt. Eine Zeit um 38 Sekunden. Zuwenig für den Titel. „Jetzt bei den Schaumgummis bremsen,“ ruft ein Zielauslauf-Vater den beiden Piloten-Päntz zu.

Nachdem das Quietschen der Stempelbremsen verhallt ist, zupft sich der eine Pilot den Integralhelm vom Kopf. Noch ist der Helm nackt, aber die Kiste hat schon einen Aufkleber. Vater hat als Sponsor die örtliche Dachdeckerei aufgetan. Jeder Vater weiß: Werbung ist seifenkistenmäßig gleichsam ein geschichtliches Erbe. Denn die Wiege der Seifenkiste ist eine ökologisch verträgliche Werbetrommel und stand in den zwanziger Jahren irgendwo in Ohio, USA.

Und als clevere Produktmanager sie gerührt hatten, gebar sie die Seifenkiste. Als Gimmick. Die Verpackung einer Seifenfirma wurde durch aufgezeichnete Schnittmuster als Kisten-Baukasten nutzbar. Jetzt wird demnächst die Weltmeisterschaft ausgetragen. Die Sieger von Duisburg, Petra Claas (Stromberg) und Dennis Markowski (Berlin) werden daran teilnehmen. Ehre ihren Vätern.

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