: „Papis Liebe tut ihr weh“
■ Die berüchtigte Anzeigenkampagne des Kinderschutzbundes wird vorerst nicht verlängert / Reaktionen aus Bremen
Daß es nicht „Papis Liebe“, sondern evtl. sein Schwanz sei, der „ihr weh tut“, hatten empörte Kritikerinnen schon im Sommer eingewendet. Da war gerade, in fünfzehn Zeitschriften von „Spiegel“ bis „Eltern“, eine Kampagne des Deutschen Kinderschutzbundes (DKSB) angelaufen: Seit dem Sommerloch erscheinen landauf, landab große Fotoanzeigen (s.Abb.), „an denen man ja gar nicht vorbeikommt ohne Schweißausbruch“ (Petra Reinhard vom Bremer Mädchenhaus).
Da wirft uns ein rehäugiges Mädchen durchaus unbekümmerte Blicke über die Schulter; und die Schlagzeile plaudert aus: Vati war ihr erster Mann. Da sehen wir, mit Teddy im Arm, eine kleine Sabine, nämlich Papis 'Ein und Alles', und der Kinderschutzbund weiß noch mehr: Sie wird von ihm geliebt. Bloß leider mehr als sie verkraften kann. Denn Papi vergeht sich sexuell an seiner Tochter.
„Den Blick, die Sicht und die Sprache der Täter“ warf etwa die „Wildwasser“-Gruppe Darmstadt dem DKSB vor. Daß sexuelle Ausbeutung von Kindern bloß eine problematische Beziehung im sozialen Nahraum sei, wie der DKSB schrieb, provozierte bundesweiten Protest (gesammelt im Novemberheft von „Emma“); die verständnisvolle Behauptung, der Familienmachthaber begehe seine Gewalttaten geradezu aus einem Übermaß an Liebe, überschreite, hieß es, geradezu die Grenze zur Kumpanei mit dem Täter, verlängere die Qualen der Opfer und vertiefe noch deren ohnehin katastrophale Verwirrung.
Zum Ende des Jahres läuft die Kampagne, die selbst im eigenen Verband umstritten war, erst einmal aus. Anette von Stemmen vom bremischen Landesverband des DKSB ist froh, daß sie „jetzt aus dem Verkehr gezogen“ wird.
Die zwielichte Haltung der Anzeigen allerdings hatte in Bremen keinen Anstoß erregt. Der Landesverband ärgerte sich, weil er zu spät gefragt worden war und befürchtete im übrigen bloß, so Frau von Stemmen, „daß uns jetzt ständig die Leute anrufen und Fälle von Kindesmißhandlung in der Nachbarschaft melden“. Das hülfe, sagt sie, nun leider gar nicht, es versperre vielmehr den Anfang von allem: den Weg zu den Tätern. Nur Hilfe für die Täter könne die Taten unterbinden — nämlich durch lauteres Verständnis, wie es seit jeher die Methode des DKSB ist.
Aber was heißt Täter! Frau von Stemmen will von Tätern und Opfern gar nicht reden. Wie ambivalent ist doch, sagt sie, jederlei menschliche Beziehung, und wie schnell werden ihrerseits die Opfer groß und damit evtl. selber tätig.
Bis jetzt haben sich zwölf vergewaltigende Väter beim DKSB gemeldet — „daß die Kampagne so erfolgreich ist“, hätte Frau von Stemmen „vorher nicht gedacht“.
„Nennen sich die nicht Kinderschutzbund?“ fragt diesbezüglich Petra Reinhard vom hiesigen Mädchenhaus. „Da geht es doch mehr um die Interessen der Täter.“ Sie beklagt, daß die Kampagne die Arbeit des Mädchenhauses wieder um einiges erschwert habe. In vielen Fällen hätten die ihr anvertrauten Opfer sexueller Gewalt sehr heftig und mit Verzweiflung auf die Bilder und Texte reagiert. „Das Gerede von –Vatis Liebe– legt einem nahe, ja doch auch selber schuld gewesen zu sein.“
Petra Reinhard sieht da „von Liebe keine Spur. Da nützen die Täter eindeutig ihre Macht gegenüber Abhängigen. Da stecken Väter ihren Töchtern den Penis in den Mund und stoßen, bis sich der Samen ergießt und das Mädchen nicht weiß, was mit ihm geschieht und beinahe daran erstickt, da vergewaltigen Väter ihre Töchter anal oder stecken ihre große Zunge in den kleinen Mund des Mädchens. Das alles kann man, glaube ich, mit Liebe nicht verwechseln.“
Katharina Abelmann-Vollmer, Pressesprecherin des DKSB-Bundesverbands in Hannover, findet, daß alles viel komplizierter ist: „In einer gelebten Beziehung sind Liebe, Sexualität und Gewalt nicht zu trennen“. Petra Reinhard sieht das anders: „Daß der Kinderschutzbund dazwischen überhaupt nicht unterscheiden kann, macht ihn ganz unfähig zu jeder Hilfe, auch wenn er's gut meint.“ Manfred Dworschak
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen