Papageien-Import nach Brandenburg: Ausgeflogen aus der Karibik
Auf Dominica ist eine Papageienart vom Aussterben bedroht. Ein Verein bringt zwei Tiere nach Deutschland. Vogelschützer verlangen den Rückflug.
Vor anderthalb Jahren, im September 2017, wurde dieses Paradies vom Hurrikan Maria heimgesucht, dem tödlichsten Sturm, den die Karibik in diesem Jahrzehnt bisher erlebt hat. Auf Dominica forderte Maria 31 Menschenleben und verursachte Schäden in Höhe von 1,3 Milliarden US-Dollar. Und er sorgte dafür, dass die berühmteste Vogelart der Insel heute die Hauptrolle in einer internationalen Kontroverse spielt.
Die Kaiseramazone (Amazona imperialis), auch Sisserou genannt, ist eine Papageienart, die nur auf Dominica vorkommt. Bis zum Hurrikan Maria lebten dort noch 350 bis 400 Exemplare dieses scheuen Vogels.
Es existieren keine genauen Angaben darüber, wie viele von ihnen den Wirbelsturm überlebten. Dominicas Behörde für Wälder, Tierwelt und Parks glaubt, dass es heute höchstens noch 200 Exemplare gibt.
An Bord des Flugzeugs nach Deutschland: 12 Papageien
Der Hurrikan Maria lag sechs Monate zurück, als am 17. März 2018 ein gechartertes Privatflugzeug auf der Insel startet. An Bord sind zwei der seltenen Papageien. Weltweit wird nur ein weiteres Exemplar dieser Art in Gefangenschaft gehalten. Außerdem im Flugzeug: zehn Blaukopfamazonen (Amazona arausiaca). Auch sie gibt es nur dort, aber sie sind weniger selten. Die zwölf Vögel sollen in ein privates Vogelgehege in Deutschland gebracht werden, das von einer Organisation namens Association for the Conservation of Threatened Parrots (Organisation für den Schutz bedrohter Papageien, abgekürzt ACTP) betrieben wird.
Die Ausfuhr der Papageien veranlasste 13 Nichtregierungsorganisationen, einen offenen Brief an das Umweltprogramm der Vereinten Nationen zu richten, in dem sie die Rückgabe der Vögel forderten. Der Export führte auch zu einer hitzigen Debatte auf der Insel selbst, bei der einige Dominicaner, die sich zu Wort gemeldet hatten, Drohungen ausgesetzt waren. Aus diesem Grund müssen einige für diesen Text Interviewte anonym bleiben.
Paul Reillo, Tierschützer
Um zu verstehen, warum dieses Thema den Menschen auf Dominica so sehr am Herzen liegt, muss man nur die Landesflagge betrachten. Auf einem grünen Hintergrund – die Farbe des üppigen Dschungels der Insel – sieht man ein gelb-schwarz-weißes Kreuz und einen roten Kreis: darin eine violette Kaiseramazone. Dieser Papagei spielt für die dominicanische Identität eine ähnlich zentrale Rolle wie der Weißkopfseeadler für die USA oder der Kiwi für Neuseeland.
Ein Viertel der 564 karibischen Vogelarten sind endemisch, wie die Kaiseramazone kommen sie nur auf einer einzigen Insel vor. Viele von ihnen sind bemerkenswert widerstandsfähig gegen Naturkatastrophen. Der winzige Barbudawaldsänger etwa überlebte kürzlich die 240 Stundenkilometer starken Winde des Hurrikans Irma in dem zähen Buschwerk Barbudas.
Der Hurrikan hinterließ ein Desaster
Aber der Hurrikan Maria entfaltete auf Dominica eine außergewöhnlich zerstörerische Kraft, selbst im normalerweise geschützten Westen. Danach aufgenommene Fotos zeigen, dass auch die Natur stark geschädigt war. Maria entlaubte den größten maritimen Regenwald der östlichen Karibik. Die Blaukopfamazonen, von denen es vor dem Wirbelsturm eine gesunde Population von 1.200 Exemplaren gab, dürften sich relativ schnell erholen.
Die Kaiseramazonen aber vermehren sich nur langsam und es dürfte Generationen benötigen, bis wieder ihr alter Bestand erreicht ist. Davon ist Paul Reillo überzeugt, der Leiter der Rare Species Conservatory Foundation (Stiftung zur Bewahrung seltener Arten, abgekürzt RSCF), einer Nichtregierungsorganisation aus Florida. Reillo hat an der University of Maryland in Zoologie promoviert.
Seit 1996 arbeitet Reillo als Partner von Dominicas Behörde für Wälder, Tierwelt und Parks. Er trug dazu bei, dass im Jahr 2000 der Morne-Diablotins-Nationalpark eingerichtet wurde, der wichtigste Lebensraum der Kaiseramazonen. Über Skype erläutert Reillo von Florida aus, dass die Vögel wohl in den tiefen Felsspalten entlegener Bergregionen Schutz gesucht haben. In den ältesten Bäumen dort legen sie am liebsten ihre Nisthöhlen an.
In den Monaten nach dem Wirbelsturm versuchte die US-amerikanische Nichtregierungsorganisation Birds Carribean zu helfen und startete ein Fütterungsprogramm. Und im November 2017 trat Martin Guth von ACTP aus Brandenburg mit einem alternativen Angebot an einen Geschäftsmann in Dominica heran.
Ein Bauunternehmer als Kontaktadresse für Vogelschutz?
Ich treffe Steven Astaphan in einem frostig-kalten medizinischen Lagerraum eines Hospitals in Roseau, der Hauptstadt von Dominica. 24 Stunden tropischer Wolkenbrüche haben die Flüsse der Insel in cappuccinofarbene Sturzfluten verwandelt. An der Küstenstraße ist eine nach dem Hurrikan von einem chinesischen Unternehmen reparierte Brücke abermals weggespült worden.
Astaphan ist kräftig gebaut, er trägt Cargoshorts und zeigt beim Lächeln weit auseinanderstehende Zähne. Er leitet die Baufirma, die gerade den Teil des Krankenhauses wieder aufbaut, in dem wir uns treffen. Mit Naturschutz hatte er nie etwas zu tun, aber er war Martin Guths erster Kontaktmann auf Dominica.
ACTP bot 100.000 Dollar für ein Programm zur Fütterung der Papageien nach dem Hurrikan an, sagt Astaphan, und das ohne jede Vorbedingung. Der Geschäftsmann sollte Reginald Thomas, einen hohen Beamten im Landwirtschaftsministerium Dominicas, davon überzeugen, das Angebot anzunehmen.
Was bewog Astaphan, ACTP zu helfen? „Ich wollte, dass die Vögel zu fressen bekommen“, sagt er. Er hebt hervor, dass er nicht von ACTP bezahlt worden ist und keine Ahnung von dem Plan hatte, Papageien nach Deutschland zu exportieren. Ihm sei es nur darum gegangen, den Vögeln nach dem Hurrikan Nahrung zu verschaffen. „Papageien sind so schöne Vögel“, sagt Astaphan, „man muss sie doch erhalten.“
Im Juni 2018 führte eine Geschäftsreise Astaphan nach Deutschland, dort besuchte er auch die Anlage von ACTP im brandenburgischen Tasdorf. Er habe Guths Angebot abgelehnt, ihm seine Flugkosten über den Atlantik zu ersetzen, sagt Astaphan.
Martin Guth: Vogelfreund und Geldverdiener?
Von den Einrichtungen des Vereins war er beeindruckt. „Die gesundheitliche Versorgung rund um die Uhr und die medizinische Ausrüstung für diese Vögel sind besser als die für die Menschen in Dominica“ sagt Astaphan. Er beschreibt Guth als einen „begeisterten Sammler“, dem „es offensichtlich große Freude bereitet, diese Vögel zu besitzen. Ob er damit Geld verdient? Ich vermute es. Denn er schafft es, davon zu leben.“
Zu dem von ACTP angebotenen Fütterungsprogramm ist es nie gekommen. Aber die Organisation stellte der Parkbehörde drei geländegängige Fahrzeuge zur Verfügung. Im Januar 2018 besuchte Guth Dominica zum ersten Mal. Damals sagte er leitenden Mitarbeitern der Parkbehörde, er habe nicht die Absicht, Vögel von der Insel fortzubringen. Dies bestätigte ein bei dem Gespräch Anwesender.
Zwei Monate später kehrte ein Team von ACTP an einem Samstagmorgen, als viele der Beschäftigten des staatlichen Vogelhauses in Roseau dienstfrei hatten, auf die Insel zurück. Das Team zeigte eine von Reginald Thomas unterzeichnete Exportgenehmigung vor und nahm zwölf Papageien mit. Sie verluden sie in ein privat gechartertes Flugzeug mit Reiseziel Deutschland.
Dominica spielt immer wieder eine Rolle in Umwelt-Kontroversen. Der Kleinstaat preist sich als karibische „Insel der Natur“, stimmte bei den Vereinten Nationen aber lange mit den Staaten, die Walfang betreiben. Dies ist umso seltsamer, als Dominica ein beliebtes Ziel von Walbeobachtern ist, denn es ist weltweit einer der besten Orte, um Pottwale zu erleben. Dem Land wurde vorgeworfen, seine Stimme bei den Vereinten Nationen für Hilfszusagen verkauft zu haben.
Der NGO-Gegner, der den Export der Tiere ermöglichte
Dominica hat seither seine Haltung zum Walfang revidiert, aber Reginald Thomas vom Landwirtschaftsministerium, der Mann, der die Ausfuhrgenehmigung für die Papageien nach Deutschland unterzeichnete, beharrt auf der Souveränität seines Landes: „Ich habe wenig Respekt vor Leuten und Organisationen, die von Ländern Lösegeld erpressen“, sagt er, als wir uns in seinem Büro im Regierungssitz in Roseau treffen.
Der schlanke Mann mit ovaler Nickelbrille ist ausgebildeter Tierarzt. „Ich halte nichts von NGOs“, fährt er fort. „Dies ist ein Land, in dem Gesetze gelten und die Regierung die Geschäfte führt – nicht irgendeine NGO.“ Sein Ärger gilt vor allem „jener Gruppe aus Florida“, womit er die Rare Species Conservatory Foundation (RSCF) meint.
Paul Reillo von der Organisation verwahrt sich gegen den Vorwurf, man versuche, Dominica Vorschriften zu machen. „Wir wollten vor allem Unterstützung anbieten“, sagt er. „Es ist keine einseitige, sondern eine multilaterale Beziehung. Was wir beitragen können – besonders finanziell –, ist begrenzt. Wir achten darauf, dass unser Beitrag sinnvoll ist. Legitime NGOs sind keine kolonialen Unternehmungen: Sie finden eine bestimmte Situation vor und fragen, wie sie helfen können, und sie lassen zu, dass ihre staatlichen Partner bestimmen, wie ihr Beitrag aussehen sollte.“
Reginald: „Ich bin als Dieb bezeichnet worden“
Die Erholung des Kaiseramazonen-Bestands von seinem niedrigsten Niveau von 50 Vögeln Ende der 1970er Jahre war nur dank der Zusammenarbeit von NGOs mit der Regierung Dominicas möglich, sagt Reillo. „Die Papageien auf Dominica haben Maria nur dank der fortschrittlichen und langfristigen Naturschutzbemühungen der dominicanischen Behörde für Wald, Tierwelt und Parks und der im Naturschutz engagierten NGO-Partner in den vergangenen gut 30 Jahren überlebt“, sagt er. Reillo ist überzeugt, dass ACTP mit seinem Sitz in Brandenburg durch eigenmächtiges Handeln jahrzehntelange Arbeit im Naturschutz untergraben hat.
Reginald Thomas vom Landwirtschaftsministerium in Dominica spürt keinerlei Reue über seine Hilfe beim Export der Vögel. „Ich bin als Dieb bezeichnet worden, als alles Mögliche, aber das ist in Ordnung, denn ich tat es im Interesse dieser Art.“ Der Regierungsbeamte hebt hervor, dass die zwölf Papageien – und jegliche Nachkommen – weiterhin Eigentum des Staates Dominica sind. Aber die Einzelheiten der Übereinkunft zwischen der dortigen Regierung und ACTP bleiben vertraulich.
Im Dezember 2018 erschien im britischen Guardian das Ergebnis einer Recherche, an der der Autor beteiligt war. Der Artikel weist darauf hin, dass viele Details über ACTP im Ungewissen liegen. Die Finanzierung sei unklar, die Einrichtungen in dem Dorf Tasdorf seien für die Öffentlichkeit nicht zugänglich. Es sei nicht einmal klar, über welche Anlagen ACTP verfügt. Der Guardian berichtete obendrein, dass Martin Guth, der Leiter von ACTP, in der Vergangenheit mehrfach mit dem Gesetz in Konflikt gekommen ist.
Aber Thomas ist davon überzeugt, dass ACTP auch weiterhin ein geeigneter Partner für Naturschutzbelange auf Dominica ist. Die Organisation sei „mehr als fähig“, ein Schutzprogramm auf der Insel bereitzustellen.
Gut 600 Kilometer nördlich von Dominica liegt eine weitere Insel mit einer endemischen Papageienart. Auch Puerto Rico wurde von dem Hurrikan Maria verwüstet. Es gibt dort zwei Papageienzuchtanlagen, die zum Rettungsprogramm der Puerto-Rico-Amazone (Amazona vittata) gehören. Das Programm begann 1975, als nur noch 13 Exemplare dieser Art übrig waren. Mit Unterstützung der US-Behörde Fish and Wildlife Service wuchs die Zahl bis zum Hurrikan Maria auf etwa 450 Exemplare in Gefangenschaft und 200 in der freien Natur.
Mehr als die Hälfte der wild lebenden Exemplare fielen dem Wirbelsturm zum Opfer, aber fast alle Vögel in den hurrikanfesten Volieren des Zuchtprogramms überlebten. Einer meiner Gesprächspartner auf Dominica, der anonym bleiben möchte, sagt, das puertoricanische Vorgehen sollte beispielhaft auch für den Papageienschutz auf Dominica sein. Paul Reillo von der Tierschutzstiftung RSCF stimmt der Ansicht zu, dass der Erhalt dieser Arten auf ihren Heimatinseln gesichert werden müsse.
Vogelschützer lehnen Export ab
Hurrikane in der Karibik werden wegen des Klimawandels wohl häufiger werden, und die Wahrscheinlichkeit steigt, dass manche wie Maria innerhalb kürzester Zeit gewaltige Windstärken entwickeln. Kann man dann argumentieren, dass es für seltene Arten wie die Kaiseramazonen geschützte Reserve-Populationen weit jenseits des karibischen Hurrikan-Gürtels geben sollte?
Der aktuelle Forschungsstand zeigt jedoch, dass Aufzucht in Gefangenschaft ineffektiv bleibt, wenn nicht auch die Bestände in der freien Natur geschützt und erhalten werden. Die Vogelschützer von Birds Caribbean stellten fest, dass sie es nicht für ausreichend halten, ein Aufzuchtprogramm mit einem einzigen Paar Kaiseramazonen zu beginnen.
Martin Guth von ACTP wollte für diesen Artikel keine Fragen beantworten, aber der Tierarzt Marcellus Bürkle, der für den Verein arbeitet, sagte 2018 dem Greenpeace-Magazin: „Mindestens fünf Paare wären eine gute Basis“ für die Aufzucht in Gefangenschaft.
Paul Reillo von der Rare Species Conservatory Foundation (RSCF) findet, dass keiner der Papageien aus Dominica in Deutschland bleiben sollte. „Die Vögel aus Dominica müssen von ACTP in ihre Heimat zurückgebracht werden, und das auf einem möglichst sicheren Weg“, sagt er. „Es handelt sich ja um das Wappentier des Landes. Man kann gar nicht genug betonen, wie wichtig diese wilden Vögel für die Identität Dominicas sind“, fügt Reillo hinzu.
Ihre Zukunft ist ungewiss. Die Fortsetzung der Schutzbemühungen für Papageien auf Dominica ist nicht gesichert. Die Rare Species Conservatory Foundation bietet der dortigen Parkbehörde weiter ihre Hilfe an, aber deren Leitung hüllt sich in Schweigen. Der deutsche Verein ACTP hat im vergangenen Sommer in Brandenburg eine Fortbildung für zwei Dominicaner veranstaltet. Der Geschäftsmann Steven Astaphan glaubt, dass sie eine neue Volierenanlage auf Dominica bauen wollen, aber ihre Pläne für weitere Arbeit auf der Insel sind nicht bekannt.
Davon unbeeindruckt bleiben die letzten in der Wildnis auf Dominica überlebenden Kaiseramazonen verborgen irgendwo in den bewaldeten Spalten der abgelegensten Berge der karibischen Insel.
Aus dem Englischen übersetzt von Stefan Schaaf
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