piwik no script img

■ Genug gehörtPapagei uncool

Mein Nachbar liebt die Regelmäßigkeit. Jeden Morgen um acht Uhr hängt er seinen Graupapagei auf den Balkon. Das sind schöne Tiere, optisch. Akustisch sind sie den Tieffliegern verwandt. Gute Exemplare erreichen jene Frequenz, bei der sich Löcher in Schuhsohlen schließen.

Üblicherweise läuft die Sache so: Der Vogel gibt sein Bestes, die Nachbarn pöbeln zurück („Auf den Grill! Her mit den Tierversuchen!“), der Technofreak von oben fährt seinen Booster bis zum Anschlag, doch seine Boxen, Marke Kühlschrank, machen keinen Stich gegen das gefiederte Horn. Ein paar Bauhandwerker greifen mit solidem Schlagwerk unterstützend ein, die Luft wird dick, die Wüste lebt. Nach etwa einer Stunde geben sich die Jungs, erschöpft vom eigenen Krach, geschlagen, übrig bleibt – das Grauen hat einen Namen – Charlie, der ungerührt weiter die Stille zersägt.

Bis mein Nachbar friedlich auf den Balkon herausgetapert kommt und das Handtuch wirft – über Charlies Käfig. Schmerzhafte Stille. Wie schlechte Dichtung. Mein Nachbar ist ein bißchen schwerhörig, mit fetten Haarbüscheln in den Ohren. Ein Hörgerät würde er da nie reintun. Und zwar mit der Begründung: er habe schon genug gehört in seinem Leben.

Stutzig, aber nur kurz, macht ihn die neueste Entwicklung: Seit einigen Tagen gibt es so Löcher in der Wand hinter Charlies Käfig, kleine runde Dinger mit aufgeplatztem Putz drumherum. Es werden immer mehr, und mein Nachbar muß jetzt täglich den Brösel vom Balkon fegen. „Merkwürdig“, sagt er, und ein bißchen Stolz ist schon mit dabei, „ich hab schon erlebt, daß er Gläser zersingt. Aber daß das jetzt schon mit Wänden klappt, Charlie, du Schlingel!“

Ende der Geschichte, vielen Dank. Doch plötzlich zieht er mich beseite und sagt: „Er braucht das nicht zu hören, ich laß ihn in dem Glauben. Aber nicht, daß Sie denken, ich sei dämlich. Ich weiß schon, was das ist. Aber ich sage Ihnen: völlig falsches Kaliber, alles Stümper. Noch nicht mal das kriegen sie hin. Und wenn, dann wär's 'n reiner Sonntagsschuß. Täte mir wirklich leid um Charlie, aber ich hab da schon was anderes in petto. Ne Freundin hat mir ein Foto gezeigt von so 'ner Sorte australischem Kakadu oder was, nur größer. Die werden eins zehn. Fantastisch, sag ich Ihnen, den haben die damals gegen die Japaner eingesetzt, als Tonwalze. Aber noch ist es ja nicht soweit“, lächelt er beruhigend, „Charlie macht ja seine Sache auch gar nicht übel. Wußten Sie übrigens, daß diese Viecher steinalt werden? Charlie kann noch 100 Jahre so weitermachen. Was haben Sie denn?“

Nichts. Ich habe nichts. Nur eine Halluzination: Ich sehe mich eine Schrotflinte kaufen, mit abgesägtem Lauf. Eine, die gut streut. Und Sauposten. Allerbeste Sauposten. Doris Becker

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen