Panter Preis-Nominierte II : Steine stapeln statt werfen
Kai Behncke hat das Klima- und Artenschutzprojekt „500 AKA“ in und um Osnabrück initiiert – und dafür Hunderte von Mitstreiter:innen gewonnen.
VON DIERK JENSEN
taz Panter Preis, 27.08.22 | Sir Henry trottet gemächlich über die trockene Wiese. Direkt auf Kai Behncke zu. Der Ziegenbock stupst seinen Retter an, der streichelt dem schwarzen Vierbeiner vertraut über den Rücken. Nebenan grasen Schafe seelenruhig weiter, während zwei vietnamesische Hängebauchschweine im Garten zwischen kniehohen Brennnesseln und schattenspendenden Bäumen in der Erde herumschnüffeln. Nicht weit entfernt von einem leeren Storchennest und umgeben von einigen Blühwiesen platziert sich Behncke direkt hinterm Schafzaun.
Seit 2016 betreibt Behncke zusammen mit seiner Frau Julia den Gnadenhof Brödel in Melle, der mittlerweile auf 120 Tiere angewachsen ist: von der Schildkröte bis zu den gerne in die Nachbarschaft ausbüxenden Hühnern. Daher sind Ferien für ihn, der früher in der Osnabrücker autonomen Hausbesetzerszene aktiv war, seit Längerem schon ein Fremdwort. „Das letzte Mal ist schon etliche Jahre her, es waren drei Tage an der Nordsee“, schmunzelt er.
Der taz Panter Preis wird von der taz Panter Stiftung vergeben - zum dritten Mal in Folge an Menschen, die sich für einen verantwortungsvollen Umgang mit der Klimakrise engagieren. Dieses Jahr geht es unter dem Motto „Klima für Gerechtigkeit“ um einen Klimaschutz, der sozial gerecht gestaltet wird.
Aber nicht nur Tiere bewahrt der 47-Jährige vor Verwahrlosung und Tod. Er legt vor Ort auch Vogelschutzhecken, Trockensteinmauern, Feuchtbiotope und Wildblumenwiesen an. So blühen direkt neben der Schafswiese selten gewordene Pflänzchen wie Bergsandglöckchen und Venusfrauenspiegel. Auch Streuobstwiesen und Klimaschutzpflanzungen gehören zum Repertoire – allein im letzten Jahr wurden rund 20.000 Setzlinge gepflanzt.
Fast 1.000 Mitstreiter:innen
Das Ganze macht der promovierte Geoinformatiker nun nicht im Alleingang, sondern er hat dafür ganz viele Mitstreiter*innen direkt in seinem Wohnort Melle und darüber hinaus in der Osnabrücker Gegend gewinnen können. Unter dem Dach der von ihm gegründeten gemeinnützigen Organisation „gUG Umweltschutz und Lebenshilfe“ ist es im Projekt „Aktiv für Klima- und Artenschutz“ (500 AKA) gelungen, in kurzer Zeit fast tausend Menschen zur Mitwirkung zu motivieren.
Es sind Nachbarn, Berufskollegen, Freunde oder einfach auch nur Interessierte und engagierte Naturschützer, die über Berichte in der lokalen Presse oder über soziale Netzwerke spontan zum Mitmachen mobilisiert wurden. Alle zusammen haben an 27 Standorten sehr unterschiedliche Biotope kreiert, die den dramatischen Schwund an Artenvielfalt aufhalten sollen. Überdies sind sogenannte Miyawaki-Wälder angelegt worden, die humusarme Böden wiederbeleben und Neugierige aus dem ganzen Land anziehen.
Eine taz-Vorjury hat sechs Kandidat:innen ausgewählt. Vom 17. September bis 15. Oktober findet die Leser:innen-Wahl statt. Zudem wird ein Jurypreis vergeben. Beide Preise sind mit je 5.000 EUR dotiert und werden am 12. November verliehen. Infos: taz.de/panter.
„Wir können die Welt noch retten, aber wir müssen jetzt handeln“, spricht sich Behncke selbst Mut zu. Obwohl für ihn aus rein rationaler Sicht die Abkehr von den zerstörerischen Kräften der fossilen Wirtschaft schon fast zu spät kommt. Deshalb macht der Meller Local-Diversity-Hero keinen Hehl daraus, dass er angesichts der aktuellen Entwicklungen – Dürren, Waldbrände, Krieg – manchmal von Frustration und Zynismus überwältigt wird.
Trotz dieser Anflüge will er sich davon aber nicht unterkriegen lassen. „Wir können das Dilemma der Klimaerwärmung und des Artensterbens noch überwinden!“, ist daher seine trotzige Botschaft. Für ihn, der im Übrigen seit einigen Jahren kein Fleisch mehr isst, ist aktiver Klima- und Artenschutz bei Weitem nicht nur selbstloses Tun. „Du erhältst ganz schnell viel zurück“, begeistert er sich und erzählt: „Wenn dich eine Zauneidechse aus dem selbstgebauten Trockensteinwall anzischelt, ist der Weltenfrust wie weg.“
Gehandelt werden mss jetzt
Allerdings nervt ihn ein überall anzutreffender Kleinmut. Passivität, Wegschauen, Gleichgültigkeit, Verantwortungsabwälzung, um seiner Wortwahl zu folgen, und das ewige Zaudern und Bedenken begegnen ihm oft – auch innerhalb vermeintlich grüner Klientel. So klaffen Anspruch und praktizierte Wirklichkeit im Alltag oft auseinander. Während sich die Klima-Kipppunkte bedrohlich nähern, so Behncke weiter, müsse jetzt umgehend gehandelt werden: im Lokalen, im Kleinen, von vielen, bestenfalls von allen!
Dass diese Losung im Hier und Jetzt und unabhängig der großen Schieflage tatsächlich Großartiges in Bewegung setzen kann, dafür steht Kai Behncke auf angenehm unprätentiöse und auf jeden Fall selbstlose Weise. Die Zeit des Steinewerfens sei für ihn definitiv vorbei. Ein Wandel sei, davon ist er überzeugt, nur friedlich möglich. Sein Feuer lodert für den Schutz seiner Tiere und die ökologische Vielfalt in der Umgebung. Er gehört deshalb zu denjenigen, die auch am Tag vor dem Weltenende noch einen Apfelbaum pflanzen würden.
Mit der wachsenden Zahl an angelegten Biotopen ist zum einen die Akzeptanz von Eigentümern gestiegen, Land für solche Vorhaben zur Verfügung zu stellen. Zum anderen wächst damit aber auch die Verantwortung. Denn ohne Pflege, ähnlich wie bei den Tieren, denen Behncke auf vier Hektar Land liebevoll Schutz bietet, geht es bei den Biotopen auch nicht. Um diese Aufgaben halbwegs zu bewältigen, sind Spenden durchaus hilfreich – und Behncke ist dankbar für jede einzelne. Vielfalt ist – und dass wissen offenbar doch einige – kein Selbstläufer und nicht umsonst zu haben.