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■ Pampuchs TagebuchDas Archiv des Kriegsreporters

Es ist nicht leicht in diesen finsteren Zeiten. Auf allen Kanälen tobt der Krieg, und dennoch hat man laufend das Gefühl, die wirklich wichtigen Informationen nicht zu bekommen. Die Live-Berichterstattung im Fernsehen ist bemüht, und doch läßt sie einen in ihrer Hilflosigkeit auch schaudern. Wenn es das deutsche Fernsehen nicht schafft, eine Live-Leitung sauber zu schalten, wer will dann eigentlich darauf vertrauen, daß Tornados oder Stealth-Bomber ein „ausschließlich militärisches Ziel“ sauber treffen – und nicht die Stadt nebenan? Und wer will überhaupt darauf vertrauen, daß die Nachrichten, die wir über den Krieg bekommen, auch stimmen? Was hat sich eigentlich seit den Napoleonischen Kriegen verändert?

Zugegeben, die Geschwindigkeit, mit der wir von Kriegshandlungen erfahren, ist erklecklich größer geworden. Doch daß der Informations- und Wahrheitsgehalt der elektronischen Botschaften, die sich um den Erdball jagen, größer ist als der der reitenden Boten von ehedem, muß bezweifelt werden. Kann das Internet da helfen? Ich habe mich einen Abend hingesetzt und in einige Suchmaschinen den Begriff „Kosovo“ eingegeben. Ich bin herumgehetzt zwischen den wichtigen einschlägigen Instituten und Institutionen, den Weltblättern, den Organisationen, Infodiensten, Agenturen, Projekten und Webseiten. Ich habe gesammelt, markiert, überflogen und gespeichert. Nach einer Stunde hatte ich eine Fülle von Adressen und Hinweisen und verfüge jetzt über ein umfangreiches virtuelles Archiv zum Kosovo. Hunderte von Seiten. Nur lesen muß ich sie noch.

Es ist sicher eine der großen Illusionen des Internets, daß die bloße Tatsache der Informationsfülle und Vernetzung gleichbedeutend ist mit Information. Immerhin, der Zugang zu wichtigem Material ist demokratisiert worden. Schweinereien können nicht mehr so einfach vertuscht werden. Eine der interessantesten Seiten, die ich bei meinem Kosovo-Surfen entdeckt habe, ist „Mario's Cyberspace Station“ (mprofaca.cro .net), auf der ein regelrechtes „Kosovo Crisis Center“ eingerichtet ist, das ständig die neuesten Nachrichten verschiedenster Quellen verbreitet. Marios Station hat offensichtlich bereits eine Tradition, wenn es um finstere Machenschaften geht. Was der kroatische Journalist und ehemalige Kriegsreporter Mario Profaca da in den letzten Jahren aufgebaut hat, ist eine veritables Pandämonium düsterer und dramatischer Links. Da paßt es ins Bild, daß das Erkennungszeichen der Station kleine animierte rote Teufel sind, die sich überall auf den Seiten tummeln. Kein Krieg, kein Terrorismus, keine Menschenrechtsverletzungen oder sonstigen Verbrechen in der Welt, die nicht in Mario's Cyberspace ausführlich dokumentiert wären. Von Bin Laden über Waffenschmuggel und die Mafia bis zu (chinesischen!) Berichten über die Verhältnisse in US-Gefängnissen, chemische Waffenproduktion und ethnische Säuberungen – die kroatische Cyberstation ist das wohl bestsortierte und -vernetzte Horrorkabinett der Welt. „Yes, the world is a sick place and Mario Profaca is its webmaster“, hat die New York Times über den besessenen Sammler und Vernetzer geschrieben.

Was ich nicht gefunden habe, ist eine Antwort auf die Frage, wie die Schlächterei im Kosovo beendet werden kann. Da weiß auch Webmaster Profaca keine Antwort. Es ist auch nicht sein Job. Immerhin weiß ich jetzt, daß der Wert eines Stealth-Bombers ziemlich genauso groß ist wie das gesamte jugoslawische Exporteinkommen – zwei Milliarden Dollar. Thomas Pampuch

ThoPampuch@aol.com

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