■ Pampuchs Tagebuch: Längere Sitzungen jetzt auch online
Der Morgenkaffee und die Lektüre der Zeitung haben etwas Beruhigendes, egal welcher Natur die Nachrichten und Ergüsse sind, die uns unsere lieb gewordenen Gazetten tagtäglich um die Ohren schlagen. Denn schon das morgendliche Zeitunglesen als solches bringt Kontinuität ins Leben: das fröhliche Rascheln, die Fettflecken (weil man die Butter touchiert hat), der regelmäßige Ärger über die Lieblingsblödkommentatoren, die kleinen Feuilletonschlachten und die großen Politik- oder Fußballdramen, all das. Natürlich ist das Zeitunglesen eine Sucht. Eine Art Fresssucht, eine alltägliche Schlingübung, die zwar nicht direkt sättigt, aber doch zumindest abfüllt.
Was aber, wenn sich diese Informationsvöllerei ins nicht mehr Bewältigbare weitet? Wieviele Leitartikel, Reportagen, Nachrichten, Kolumnen, Karikaturen und Gurken des Tages verträgt der Mensch? Pro Tag, pro Frühstück? Gewiss, es gibt natürliche Grenzen. Eine anständige Morgenzeitungslektüre endet mit dem Gang aufs Klosett, für das sich der Kenner immer ein besonderes Stückchen aufhebt . Der eine nimmt sich die anstrengenden Grundsatzartikel mit, um – gewissermaßen im Gleichklang von Hirn und Darm – Großes zu bewältigen, der andere bescheidet sich leichtfüßig mit dem Vermischten, wieder andere lesen auf dem Lokus – sei's aus Scham, sei's aus Leidenschaft – immer nur den Sport.
Ich selbst habe es mir zur Gewohnheit gemacht, vorzugsweise den Wirtschaftsteil zu studieren. Das gibt meinen Sitzungen, so denke ich, eine ernste und arbeitsame Note und hat gleichzeitig doch jenen Schuss Kapitalismuskritik, von dem ich nun mal nicht lassen möchte. Aber ich schweife ab. Das Internet mit seinem riesigen Angebot – auch an Zeitungen – ist geeignet, dieses gottgewollte morgendliche Ritual – man könnte durchaus von einem Geist-Materie-Austausch sprechen – aus den Fugen zu heben. Natürlich wird kaum jemand den Laptop aufs Örtchen tragen. Dennoch ist nicht von der Hand zu weisen, dass das morgendliche Zeitunglesen in diesen Zeiten harten Anfechtungen durch das Web ausgesetzt ist. Ich erwische mich immer häufiger dabei, manche Artikel schon nachts im Internet vorab zu lesen. Gar nicht zu reden von der ausländischen Presse, die ich immer wieder mal anklicke.
Ja doch, es ist nicht dasselbe, und es macht nicht so viel Spaß, und es ist eigentlich der Tod des Printjournalismus, aber – es hat auch was. Vor allem, wenn es um etwas exotischere Zeitungen geht, an die von hier aus schwer oder überhaupt nicht zu kommen ist. Nehmen wir zum Beispiel La Razón, ein munteres Blatt in La Paz, Bolivien (www.la-razon.com). Da schreibt seit geraumer Zeit mein Freund A. jeden Samstag eine Kolumne mit dem schönen Titel „La curva recta“ (die gerade Kurve). Da La Razón auf ihrer Webseite alle Ausgaben der letzte vier Monate anbietet, kann ich mir seine kleinen Werke gelegentlich en bloc zu Gemüte führen. Seit neuestem hat A. nun auch Internet, und so lesen wir einander jetzt ab und zu. Die Gründung einer kolumnistischen Internationale zeichnet sich ab. Natürlich schreiben wir nicht voneinander ab. Niemals. Doch man regt sich an. So hat A. in seiner letzten Kolumne sehr schön gegen den bolivianischen Präsidenten (und Ex-Diktator) Banzer gestänkert. Der nämlich hat einen gewissen Otto Ritter wegen Beamtenbeleidigung einsperren lassen, bloß weil dieser ihn aufgefordert hatte, zurückzutreten, „weil er nicht fähig ist zu regieren“. Schön für die Bolivianer, dass sie solche Nachrichten nicht im Internet lesen müssen. Denn was Banzer da treibt, das kann man eigentlich nur auf dem Klosett lesen. Schon aus hygienischen Gründen.
Thomas Pampuch
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