■ Pampuchs Tagebuch: Rilke und der Tampon von T-Online
Berlin Ende Oktober ist eine schöne Stadt. Der Herbst ist ein Maler, das Laub ist bunt, die Sonne lacht und selbst meine alte Tante T. kramt aus ihrem Gedächtnis den Rilke raus und weiß die schöne Zeile „Leg deine Schatten auf die Sonnenuhren“, die mir jahrelang gefehlt hat. Herr, es war echt mal wieder Zeit, auf den Berliner Alleen hin und her unruhig zu wandern, wenn die Blätter treiben, zumal ja neuerdings Wildschweine dort für die Unruhe sorgen. Hab selbst eins gesehen in Zehlendorf, und Frank Castorfs „Heinrich VI. Teil 1–3“ im Prater war auch sehr lustig. Was der mit Shakespeare macht, machen die Wildschweine gerade mit dem Grunewald. Aber Recht haben sie, Castorf und die Wildsäue, man gönnt sich ja sonst nix.
Die Schatten auf den Sonnenuhren wurden am Wochenende noch länger, wegen der einsetzenden Winterzeit, die es irgendwie zu nutzen galt. Bei Freistunde denkt der moderne Mensch ans Internet. Daher beschlossen meine Cousine R. und ich am Sonntag, meinen Berlinbesuch zu nutzen und eine kleine Lehrstunde in E-Mail und Surfen ins Besuchsprogramm zu heben. R. hatte tausend Fragen, wo sie doch erst zwei Wochen mit ihrem neuen Modem und Windows kämpft. Zur Vorbereitung und geistigen Einstimmung schälte sie eine Mango aus der Ladenkette Butterbeck, wobei sie behauptete, die einzig wahre Schälart dafür zu kennen und zu beherrschen. Ich begrüßte das aus pädagogischen Gründen außerordentlich, denn wir erfahrenen User wissen, dass das A und O eines gedeihlichen Umgangs mit PC und Netz Systematik und planerisches Verhalten sind. Die Mango als herrlichste aller Früchte spiegelt in der ihr eigentümlichen Mischung aus Verlockung und Schwerzugänglichkeit die Grundproblematik des Verhältnisses Mensch-Computer ideal wieder. So erhoffte ich mir durch ein kleines Erfolgserlebnis beim sicheren Schälen im Vorfeld günstige Auswirkungen auf die Lernsituation und das Selbstvertrauen meiner Schülerin.
R. wählte dann aber berlingemäß den Castorf/Wildschwein-Ansatz, und als wir nach einer halben Stunde unsere Hände und den Küchentisch wieder sauber hatten, begriff ich, warum Steven Jobs sein geniales Produkt eben nicht Mango, sondern Apple genannt hat.
Als zweite schwere Hürde erwies sich die Tatsache, dass meine Cousine T-Online als Provider gewählt hatte. Es hat mich ein Jahr gekostet, mich an AOL zu gewöhnen, und ich gestehe, es ist denen gelungen, mich zu brainwashen. T-Online fand ich das Letzte. Als R. mir vergnügt den „süßen kleinen Tampon“ zeigte, der immer wieder über den Bildschirm geisterte, ahnte ich, dass ich bei T-Online auf völlig unbekanntem Terrain war. Was denn männliche T-Online-User wohl für ein Symbol bekämen, wollte meine Base wissen. Wie blödsinnig kam ich mir vor, als ich ihr erklärte, dass es da, glaube ich, keinen Unterschied gebe. „Was sollen denn Männer mit einem Tamponsymbol?“, fragte sie zu Recht. Ich konnte ja nicht mal erklären, was Frauen damit sollen.
Ich habe meiner Cousine dann noch gezeigt, wie man Texte aus Word in die E-Mail von T-Online hineinkopiert (dazu musste ich allerdings den mir gut bekannten Computerpädagogen Lutz Hunger anrufen – er empfahl Strg-V). Die Tamponfrage haben wir erst am nächsten Tag bei einem Freund, der auch T-Online hat, geklärt. „Wieso Tampon?“, sagte er, „ihr meint wohl die Bombe mit Zündschnur?“ Wundersames T-Online. Doch sie scheinen zu wissen, was Frauen und Männer wünschen. Vielleicht ist das alles aber auch nur eine weitere Berliner Castorf/Wildschweinerei. Thomas Pampuch
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