: Palastrevolte auf dem Center Court
■ Steffi Graf (19) besiegt trotz väterlicher Verwirrungen Martina Navratilova (31) im Finale von Wimbledon mit 5:7, 6:2, 6:1
Berlin (taz) - Welch ein Glück, daß Peter Graf so gern im Blickpunkt steht. Die ungeteilte Aufmerksamkeit zumindest eines Personenkreises ist dem Vater von Steffi bei zukünftigen Matches seiner Tochter nämlich sicher: OberschiedsrichterInnen der Tennisturniere dieser Welt werden fortan jede seiner Bewegungen mit Argusaugen verfolgen und bei der ersten verdächtigen Geste seinem Töchterlein unverzüglich eine Verwarnung wegen unerlaubten Coachens aufbrummen. Hatte er doch, wie er nach dem Wimbledonfinale freimütig ausplauderte, mit einem - streng verbotenen - Zeichen im ersten Satz für erhebliche Verwirrung bei seinem Sprößling gesorgt.
Zwei Finger hatte er in die Luft gestreckt, um damit anzudeuten, daß Steffi doch den zweiten Aufschlag ihrer Gegnerin Martina Navratilova nicht so wild angreifen möge. Die Tochter verstand jedoch völlig miß und nahm an, sie solle, da sie mit 5:4 führte, auf Sicherheit spielen und ihren ersten Aufschlag so schlapp wie einen zweiten ausführen - gegen eine passionierte Angriffsspielerin wie Navratilova eine geradezu idiotische Taktik. Die 19jährige Brühlerin setzte die vermeintlichen väterlichen Weisungen dennoch brav in die Tat um, und Martina Navratilova muß sich vorgekommen sein wie im Schlaraffenland. Dankbar nutzte sie die großzügigen Vorlagen, stand nach jedem der gräflichen Aufschläge wie aus dem Boden gewachsen am Netz und gewann den ersten Satz, in dem sie bis dahin ziemlich schlecht ausgesehen hatte, noch mit 7:5.
Der zweite Satz begann so wie der erste geendet hatte. Im Handumdrehen lag Steffi Graf 0:2 zurück. Doch dann kam die Revolte, der Aufstand der sonst so ergebenen Tochter gegen den allmächtigen Vater. 14.000 Zuschauer auf dem Center Court an der Londoner Church Road durften live miterleben, wie es mit Steffi Grafs Glaube an die Unfehlbarkeit des Patriarchats bestellt war: er währte genau drei Breaks. Kaum hatte sie ihr Service zum drittenmal hintereinander verloren, traf sie wie ein Blitzschlag die Erkenntnis: der Alte spinnt.
Fortan sausten ihre Aufschläge wieder übers Netz, als seien sie von Ronald Koeman getreten, Steffi selbst sauste wie Ben Johnson übers Rasenrechteck von Wimbledon, peitschte die Volleys mit der Eleganz und Wucht eines elfenhaften Mike Tyson vor Navratilovas Füße und ließ der verdutzten Titelverteidigerin nicht mehr die Spur einer Chance.
Achtmal hatte Martina Navratilova dieses Turnier gewonnen, ebensooft war das vor ihr nur Helen Wills-Moody zwischen 1927 und 1938 gelungen. Gar zu gerne hätte sie sich mit ihrem neunten Titel zur alleinigen Rekordhalterin aufgeschwungen, doch die letzte Bastion gegen den Ansturm der Jugend war nicht mehr zu halten. Nachdem die Deutsche ihre Harakiri-Taktik aufgegeben hatte, gewann Navratilova nur noch ein einziges Spiel. Mit 2:6 verlor sie den zweiten, mit 1:6 den dritten Satz und mußte neidlos anerkennen: „Sie ist wirklich ein Champion. Steffi ist so schnell. Die kommt nicht nur an die Bälle dran, sondern produziert dann auch noch Siegschläge.“
Und zum erstenmal gestand Martina Navratilova ein, was sie so lange nicht hatte wahrhaben wollen: „Ich bin von einer besseren Spielerin geschlagen worden.“ Lange hatte sie, von der Spitze der Weltrangliste verdrängt, darauf beharrt, doch die beste Spielerin zu sein, gegen Computer und Turnierpläne gewettert, wie besessen für ein Comeback trainiert. Wimbledon bedeutete jetzt einen traurigen Schlußstrich unter alle diesbezüglichen Ambitionen.
Steffi Graf hingegen war so glücklich, daß sie später nicht einmal mehr wußte, was die Herzogin von Kent zu ihr gesagt hatte. Der erste Wimbledontitel unter Dach und Fach, der Grand Slam in greifbarer Nähe und der heißgeliebte Vater wieder voll rehabilitiert auf seinem Sockel. Alles war nur ein Mißverständnis, die Palastrevolte ein Sturm im Wasserglas. Und daß Herr Graf in Zukunft etwas besser auf seine Finger achtgibt, dafür wird schon die Gilde der Oberschiedsrichter sorgen.
Matti
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