Palästina: Der neu entdeckte Freund
Mit politischer und finanzieller Hilfe wollen Israel, die USA und die EU Palästinserprädident Abbas im Kampf gegen die islamistische Hamas unterstützen
JERUSALEM taz Solange die Hamas den Gazastreifen beherrscht, solange bleiben alle Kontakte gekappt. Der Zentralrat der Fatah zog am Dienstag die Konsequenzen aus dem verlorenen Kampf um den Küstenstreifen. "Erst wenn die Hamas ihren militärischen Coup beendet und die Situation normalisiert", will die Bewegung von Palästinenserpräsident Mahmud Abbas mit den islamischen Fundamentalisten verhandelt.
Nach der Machtübernahme der radikalislamischen Hamas im Gazastreifen sind hunderte Fatah-Anhänger auf der Flucht. Rund 600 Menschen drängten sich am Dienstag am Grenzübergang Eres in der Hoffnung, nach Israel beziehungsweise von dort aus ins Westjordanland zu gelangen. Darunter befanden sich etwa 100 Sicherheitsbeamte der Fatah, die nach eigenen Angaben Repressalien seitens der Hamas zu befürchten hatten. Israel lehnte deren Einreise jedoch ab mit der Begründung, dass nur die wenigsten wirklich bedroht seien. Am Montagabend kam es am Übergang Eres zu einem tödlichen Zwischenfall: Als Flüchtlinge verkleidete Extremisten warfen eine Handgranate in die Menschenmenge, die in einem Betontunnel vor dem Grenzterminal zusammengepfercht war. Auch kam es zu einem Schusswechsel mit israelischen Beamten jenseits der Grenze. Israel hat am Dienstag damit begonnen, verletzte Palästinenser am Gaza-Grenzübergang Erez in Sicherheit zu bringen. AP, RTR
Der Bruch zwischen beiden Bewegungen passt zum Plan der USA und Israels, Abbas zu stärken, die Hamas und den Gazastreifen hingegen zu boykottieren. Gemeinsam mit US-Präsident Georg W. Bush setzt Israels Premier Ehud Olmert auf den Palästinenerpräsidenten als Partner. Bush und Olmert trafen am Dienstag in Washington zusammen, um über finanzielle und politische Hilfe für ihren neuen Freund zu beraten. "Der Hamas-Sieg in Gaza ist ein Erfolg für Israel, weil er den Boden ebnet für Verhandlungen mit der freundlich gesonnenen Fatah-Regierung im Westjordanland", meinte Olmert auf dem Weg zu seiner US-Visite.
Ohne sein Zutun wurde so aus dem hilflosen und von der Hamas zunehmend marginalisierten Abbas binnen einer Woche wieder ein angesehender Politiker und der stärkste Mann im Westjordanland. Nach verlorener Schlacht in Gaza entließ er seinen Erzfeind Ismail Hanijeh als Premierminister und holte stattdessen Salam Fayyad, den derzeit im Westen beliebtesten Palästinenser, ins Amt. Der unabhängige Politiker fungiert gleichzeitig als Außen- und Finanzminister und wird die in die leeren Kassen fließenden Gelder verteilen. USA und EU haben eine Wiederaufnahme der Finanzhilfe angekündigt und auch Israel habe nicht vor, die den Palästinensern zustehenden Zoll- und Steuergelder "für sich zu behalten", kündigte auch Israels Außenministerin Zippi Livni an.
Fraglich bleibt, ob die Gelder vollständig im Westjordanland verbleiben. "Die Finanzhilfe wird an die Angestellten der Palästinensische Autonomiebehörde ausgezahlt", erklärte Kadura Fares, ehemaliger Minister der Fatah, auf Anfrage. Egal sei, "ob sie im Westjordanland oder im Gazastreifen leben". Wichtig sei lediglich, dass sie die Anfang der Woche nominierte Notstandsregierung akzeptierten. Der Präsident sei auch innenpolitisch "viel stärker als noch vor einer Woche", glaubt Fares.
Mahmud Abbas ist aber alles andere als unumstritten. Er trägt einige Verantwortung an der jetzigen Lage. Die Serie seines Schieterns beginnt kurz nach dem Tod seines Vorgängers Jassir Arafat im November 2004, als die Fatah noch alleine regierte. Mahmud Abbas versäumte es, die Sicherheitsdienste zu reformieren und die illegalen Waffen zu konfiszieren. Er unterließ, die Fatah-nahen Milizen der Al-Aqsa-Brigaden aufzulösen und vor allem bekämpfte er die Korruption in der eigenen Bewegung nicht. Das führte schließlich zur Wahlniederlage der Fatah vor einem Jahr. Anschließend verweigerte Abbas die Machtübergabe an den Sieger Hamas, und für die dann absehbare militärische Konfrontation bereitete er sich nicht vor.
Die Wut über eine politische Führung, die aus sicherer Entfernung das Massaker der Hamas-Brigaden an den Polizisten der Ftagh beobachtete, geht dennoch an Abbas vorbei. Mohammad Dahlan, ehemals Sicherheitschef in Gaza, steht stattdessen im Zentrum der Kritik von mehreren Mitgliedern des Fatah-Revolutionsrates, darunter Marwan Barghouti. Der Chef der Fatach-Jugend im Westjordanland, der eine fünfmal lebenslängliche Haftstrafe absitzt, forderte den Austausch aller Köpfe der Fatah-Sicherheitsdienste, die vor und während der Kämpfe aus dem Gazastreifen geflohen waren.
"Es hat innerhalb der Fatach nie eine Zeit gegeben, in der keine Machtkämpfe stattfanden", zeigt sich Kadura Fares wenig beeindruckt. Es ginge jetzt nicht darum, Köpfe zu ersetzen, sondern "wir müssen die Erfahrung der Alten und die Energie der Jungen konstruktiv zusammenbringen". Fares hofft auf die vorzeitige Entlassung seines Freundes Barghouti, einem zentralem Reform-Politiker, der "tausende schlafende Fatach-Aktivisten motivieren könnte". Das sehen auch einige in Israel so. Umweltminister Gidon Esra etwa brachte am Dienstag eine Amnestie für Barghouti ins Spiel, um Abbas damit politisch zu unterstützen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Ungerechtigkeit in Deutschland
Her mit dem schönen Leben!
Verkauf von E-Autos
Die Antriebswende braucht mehr Schwung
Neuer Generalsekretär
Stures Weiter-so bei der FDP
Warnstreiks bei VW
Der Vorstand ist schuld
Zuschuss zum Führerschein?
Wenn Freiheit vier Räder braucht
Die HTS in Syrien
Vom Islamismus zur führenden Rebellengruppe