Palästinenser: Militante gegen Alkohol und Pop

Im Schatten innerpalästinensischer Machtkämpfe gewinnen muslimische Fundamentalisten an Zulauf. Sie bedrohen Frauen und zünden Internetcafés an.

Wenns nach den Fundemantalisten geht, ist sowas bald nicht mehr erlaubt: palästinensische Models auf einem Schönheitswettbewerb Bild: dpa

JERUSALEM taz Sie ziehen in den Kampf gegen Prostitution, Drogen und Alkohol, gegen unkeusche Internetseiten und westliche Musik. Frauen, die in Hosen durch den Gaza-Streifen laufen oder auf ein Kopftuch verzichten, stehen auf der Liste der Verfolgten genau wie jeder Ausländer. Die muslimischen Fundamentalisten wollen der Korruption ein Ende machen und dem Polytheismus. "Im Namen Allahs" werden Musikläden, die westliche CDs, und Apotheken, die Kondome verkaufen, in Brand gesteckt. Im Schatten der innerpalästinensischen Machtkämpfe und der wachsenden Armut gewinnen die religiösen Fundamentalisten an Zulauf.

"Wir werden ihnen von Ader zu Ader die Kehle durchschneiden, wenn dies notwendig sein sollte, um die Religiosität und die Moral dieses Volkes zu schützen", hieß es in einer Botschaft der "Schwerter der Wahrheit" an die Moderatorinnen des palästinensischen Fernsehsenders, in der die Frauen aufgefordert wurden, sich an die islamische Kleiderordnung zu halten. Ihre Arbeit sind die Frauen ohnehin los - die "Palestinian Broadcasting Cooperation" wurde während der Kämpfe zwischen Hamas und Fatah vergangene Woche in Brand gesteckt und zerstört.

Zum ersten Mal hatte im Frühjahr vergangenen Jahres eine ähnliche Splittergruppe, die sich "Armee des Dschihad" nennt, einen "Appell" veröffentlicht, der elf Warnungen auflistet und die baldige Ankunft von Anhängern Ussama Bin Ladens ankündigt. "Habt Geduld, bis unsere Warnungen alle Tyrannen erreichen, die die Umsetzung von Allahs Gesetzen und des Koran verhindern." Niemand wolle Blut vergießen, heißt es, doch wenn es keine Reue gebe, müsse das Gesetz Allahs angewandt werden.

"Warnung an Fremde", so hält Punkt 7 fest, "egal welcher Nationalität, sie müssen verschwinden oder ". Botschaftspersonal ist gefährdet, Mädchen, die ohne Kopfbedeckung auf die Straße gehen, und sogar Polizisten, die "auch nur daran denken, eine korrupte Person zu schützen". Ein weiteres Flugblatt, das vor wenigen Wochen verbreitet wurde, ruft zum Protest gegen Schulen auf, in denen "die junge palästinensische Generation verdorben wird". Explizit wird die UNRWA erwähnt, die palästinensische Flüchtlingshilfsorganisation der UNO, in deren Schulen Jungen und Mädchen angeblich gemeinsam singen und tanzen.

"Wir planen unsere Aktivitäten sehr behutsam", meint Christer Nordau von der UNRWA in Gaza. Zwar wolle man "einer kleinen Minderheit nicht erlauben, uns zu diktieren, was wir tun", dennoch werden in den Sommerlagern der UNO Jungen und Mädchen im Alter von über zehn Jahren in diesem Jahr nicht zusammenkommen.

In der Regel agieren die fundamentalistischen Gruppen nachts und in den frühen Morgenstunden. Anfang Mai traten sie zum ersten Mal am helllichten Tage auf, als eine Gruppe von etwa 70 Fundamentalisten eine mit ausländischen Geldern finanzierte Grundschule in Rafah, unweit der äyptischen Grenze, umzingelte, Handgranaten warf und Schüsse abgab. Nach polizeilichen Angaben gehörten die Angreifer zu einer neuen Al-Qaida-Gruppe, die sich dem Salafismus verschreibt, einer Ideologie, die den Koran wörtlich nimmt und eine Islamisierung verfolgt, ohne allerdings politisch organisiert zu sein.

Die islamistische Hamas hat sich mit ihrer Selbstdefinition als lokale Widerstandsbewegung stets von al-Qaida und deren Kampf gegen die USA distanziert. Die Beziehungen der beiden sunnitischen Bewegungen sind zusätzlich angespannt, seit Aiman al-Sawahiri, Nummer zwei der al-Qaida, die Hamas anklagte, ihre Ideologien zu verraten.

Tatsächlich stehen die beiden Bewegungen ideologisch näher zueinander als zu jeder anderen Organisation. Wenn die Hamas in Zeiten der Fatah-Regierung "unmuslimische" Institute angriff, Kinos in Brand steckte und den Alkoholverkauf gewaltsam zu unterbinden versuchte, so übernehmen jetzt die fundamentalistischen Splittergruppen diese Aufgabe.

"Gaza ist schlimmer als Afganistan", sagt der 41-jährige Jusri Darweisch, Direktor eines Kulturzentrums im nördlichen Gaza-Streifen. Vor knapp vier Monaten warfen Unbekanne während der Nacht Molotowcocktails durch die Fenster des Zentrums. "Das Theater, die Bibliothek, Computer und die Möbel sind komplett verbrannt." Darweisch hatte weder eine Warnung erhalten, noch gab es ein Bekennerschreiben. Obwohl er Angst hat, hält er an seinem Plan fest, ein Sommerlager für 300 Jugendliche zu organisieren. Gerade jetzt sei Entschiedenheit gefragt, um die freie Meinungsäußerung zu schützen. Niemand kenne die Angreifer, doch klar sei, dass sie "extremistisches islamisches Gedankengut vertreten". Dafür habe auch "der Machtkampf zwischen Fatah und Hamas den Boden geebnet".

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