Pakistan und seine militanten Islamisten: Gericht lässt Terrorverdächtigen frei
Gericht hebt Hausarrest für Hafiz Mohammad Saeed auf, den Indien als einen Planer des Terrorangriffs auf Bombay bezeichnet.
Dutzende Anhänger der islamistischen Organisation Jamaat-ud-Dawa haben sich vor dem Obersten Gericht der ostpakistanischen Stadt Lahore versammelt. Sie skandieren Sprechchöre und jubeln, als A.K. Dogar, der Anwalt ihres Anführers Hafiz Mohammad Saeed aus dem Gebäude tritt. Der Jurist fasst sich kurz: "Das Gericht hat befunden, dass die Festnahme Hafiz Saeeds gegen die Verfassung dieses Landes verstößt", sagt er. Saeed - ein mutmaßlicher Chefplaner der Terrorattacke auf das indische Bombay im vergangenen November - und drei weitere Führer der Organisation würden noch Dienstagabend aus dem Hausarrest entlassen. "Die heutige Entscheidung zeigt, dass die oberste Gewalt bei Gott dem Allmächtigen liegt", sagt der Anwalt unter dem Jubel von Saeeds Anhängern.
Damit tritt genau das ein, wovor Indien seit Monaten warnt. Denn Saeed hatte Ende der 80er-Jahre die militante Gruppe Lashkar-e-Toiba (LeT) mitgegründet, deren Anhänger immer wieder in den indischen Teil Kaschmirs eindrangen und dort einen Guerillakrieg gegen indische Sicherheitskräfte führten. Ende 2001 lösten mutmaßliche LeT-Anhänger beinahe einen Krieg zwischen den Atommächten Indien und Pakistan aus: Bewaffnete stürmten das indische Parlament und konnten nur im letzten Moment aufgehalten werden. Alle Attentäter starben.
Bis dahin hatte der pakistanische Staat die LeT offen protegiert. Militärmachthaber Pervez Musharraf verklärte sie zu "Freiheitskämpfern". Erst nach dem Sturm auf Indiens Parlament und wegen des Drucks aus den USA nach dem 11. September 2001 ließ er die LeT und andere militante Gruppen verbieten und einige ihrer Führer wie Saeed festnehmen. Doch schon bald waren alle wieder frei. Seitdem führt Saeed die karitative Jamaat-ud-Dawa-Organisation an, die er auch mitgründete. Quasi die gesamte LeT-Führung findet sich heute bei der Wohlfahrtsorganisation wieder, die als Tarnorganisation der Terrorgruppe gilt.
Ende 2008 setzte die UNO Saeed auf eine Liste mutmaßlicher Al-Qaida- und Taliban-Unterstützer. Pakistans Regierung ließ ihn festnehmen, erhob aber nie Anklage. Saeeds Freilassung sei "bedauerlich", erklärte die Regierung in Delhi. "Wir sind unglücklich, dass Pakistan nicht den Grad an Ernsthaftigkeit und Engagement gezeigt hat, den es hätte zeigen sollen, um die Täter der Bombay-Attacke zur Verantwortung zu ziehen", sagte Innenminister Palaniappan Chidambaram. Pakistans Regierung äußerte sich nicht direkt zur Freilassung Saeeds. Stattdessen warf Premier Yusuf Raza Gillani Indien vor, es habe den Dialog nach der Attacke auf Bombay gestoppt. "Wir hoffen, dass der Friedensprozess bald weitergeht und ergebnisorientiert ist", sagte Gillani vor Journalisten. Die Lösung des Kaschmirkonflikts sei "der Schlüssel zu dauerhaftem Frieden in der Region".
Unterdessen endete eine Geiselnahme in der Grenzregion zu Afghanistan offenbar unblutig. Pakistans Armee erklärte, sie habe rund 80 Schüler und Lehrer befreit, die am Montagabend von Militanten verschleppt wurden. Mehrere Kleinbusse waren in Nordwasiristan, einer Hochburg der Militanten, von Bewaffneten entführt worden. Einem Bericht zufolge sollen aber noch 20 Personen entführt sein.
Derweil warnte die Hilfsorganisation Care-Deutschland vor einem humanitären Desaster im umkämpften nordwestlichen Swat-Tal. Millionen Flüchtlingen fehle es am Nötigsten.
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