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Pakistan nach dem Mord an BhuttoDie Trauer nimmt kein Ende

Im Gutshaus der Familie empfängt der Mann von Benazir Bhutto tausende kondolierende Pakistaner. In der Trauer um ihre Führerin ist die ansonsten tief gespaltene Nation geeint.

Ihm steht eine schwere Zeit bevor: Bhuttos Ehemann Asif Ali Zardari Bild: ap

NAUDERO taz Auch zehn Tage nach der Ermordung von Benazir Bhutto kommen immer noch täglich tausende Menschen, um ihrem Ehemann Asif Ali Zardari zu kondolieren und um an ihrem Grab zu toben und zu weinen. Sie kommen auf Kamelen und Traktoren, in Luxusautos und Privatjets. Wie ein endloser Strom ziehen sie durch das kleine Dorf. Sie wirbeln Wolken von Staub auf, der sich auf die saftigen Zuckerrohrfelder legt. Einige der Trauernden haben auch die 300 Kilometer von Karachi zu Fuß zurückgelegt wie Mönche auf Bußgang.

Es kommen Sindhis mit ihren typischen Kappen, Menschen aus dem Pandschab mit enormen Turbanen, grimmig dreinschauende Paschtunen, Kaschmirer und Afghanen mit ihren Wintermützen und Mongolen, die nahe der chinesischen Grenze leben. Kein lebender pakistanischer Politiker hat die Fähigkeit, die gesamte Nation in dieser Weise zu vereinen - eine Nation, die normalerweise von Hass tief gespalten ist.

Im feudalen Gutshaus der Familie Bhutto in Naudero sitzt der Witwer Zardari inmitten eines Labyrinths von Räumen und Höfen, die gerammelt voll sind mit Trauergästen. Er geht von Raum zu Raum, umarmt Freunde und erhebt seine Hände immer wieder zum Gebet. Die Zimmer sind fensterlos, über die Jahre angebaut, um die wachsende Zahl von Bittstellern aufnehmen zu können, denn Bhutto war Großgrundbesitzerin. Jetzt sind die Wände bedeckt mit Bildern von ihr und ihren Kindern. Die Menschen brechen in Tränen aus, wenn sie die Fotos anschauen. Es ist bereits der zehnte Tag der vierzigtägigen Trauerperiode, die der Islam vorschreibt, und man sollte meinen, die Trauergemeinde dünnt langsam aus, doch bislang gibt es dafür keine Anzeichen.

Wir warten in Gesellschaft von Topindustriellen, Rechtsanwälten und Pakistans berühmtestem Landschaftsmaler darauf, mit Zardari zu sprechen. Eine ältere Dame bricht alle paar Minuten in Tränen aus und ruft: "Oh Gott, hättest du nicht mich nehmen können anstatt Benazir?" Draußen im Hof vertreten sich tausende Wartende die Füße, betäubt und verwirrt hoffen sie darauf, den Saum von Zardaris Kleidern zu berühren, wenn nicht gar seine Hand.

Seit Benazir Bhutto tot ist, haben die westlichen Medien Zardaris Spitznamen "Mr. Zehn Prozent" wiederentdeckt. Er entstand als Anspielung auf die Provisionen, die er angeblich kassiert haben soll, während seine Frau Premierministerin war. Wegen dieser Vorwürfe war er sehr unbeliebt in der Volkspartei PPP, aber nun sagen dieselben Parteiführer, der Mann habe sich geändert, er sei erwachsen geworden, verantwortungsbewusster und bescheidener.

Während der Herrschaft von Präsident Pervez Muscharraf verbrachte Zardari acht Jahre im Gefängnis, obwohl er nie schuldig gesprochen wurde wegen irgendeines der Vergehen, die man ihm vorwarf. Für viele in der PPP hat er seine Schulden mit der langen Haftzeit beglichen. Nicht eine einzige pakistanische Zeitung hat Zardaris Spitznamen seit Bhuttos Tod benutzt. Unter dem Eindruck des gewaltsamen Todes seiner Frau hat man ihm seine Sünden vergeben - vorerst.

Er hat erklärt, dass er die PPP zunächst bis zu den Wahlen am 18. Februar führen will und sich dann auf die "Hinterbank" begeben will. Der neue Parteichef ist sein Sohn Bilawal Bhutto. Der 19-Jährige absolviert aber sein erstes Jahr an der Universität von Oxford. Zardari bewirbt sich nicht um einen Sitz im Parlament und auch nicht um das Amt des Premiers. Dafür hat er einen anderen PPP-Führer auserkoren, Amin Fahim, ebenfalls Grundbesitzer und Sindhi.

Westliche Medien kritisieren immer wieder die dynastische Rangfolge und den Mangel an Demokratie in der Partei. Aber die ländliche Sindhi-Bevölkerung würde niemand Geringeres als einen Bhutto als Führungspersönlichkeit akzeptieren. Benazir war zuerst und vor allem eine Sindhi, und auch wenn Bilawal minderjährig, unscheinbar und grob ist, ist er ein Bhutto. Politik in ganz Südasien ist verknüpft mit politischen Dynastien und es gibt nichts, was irgendwer tun könnte, um das derzeit zu ändern.

Zardari verschwindet mit einer kleinen Gruppe Journalisten in sein Refugium, einen kleinen schallgedämmten Raum, in dem nur fünf Menschen Platz finden. In dieser kleinen Runde schüttet er sein Herz aus und erzählt von seinen Gedanken und Sorgen für die Zukunft. Er weiß, dass es ein schwieriger Job wird, die Partei zusammenzuhalten. Jedes einzelne der 54 Mitglieder des PPP-Zentralkomitees sind loyal zu Benazir. Zardari hat einige von ihnen nach ihrem Tod zum ersten Mal getroffen. Bhutto hat ihre Befehle an sie diktiert, Zardari aber sagt, alle Entscheidungen werden kollektiv und im Konsens getroffen. Niemand kann Benazir ersetzen mit ihren Kenntnissen und Erfahrungen, erklärt er. "Wir brauchen alle Köpfe, die wir kriegen können, damit wir die richtigen Entscheidungen treffen." In jeden seiner Sätze flicht er ihren Namen und die Erinnerung an sie ein.

Zardari, wie alle anderen Sindhi und vielleicht sogar die Mehrheit aller Pakistaner, ist überzeugt, dass die Regierung, die Armee und der Geheimdienst in die Ermordung von Benazir verstrickt sind. Diese Überzeugung können auch die vehementen Beteuerungen des Regimes, mit dem Mord nichts zu tun haben, nicht ändern. Das stümperhafte Verhalten, das die Regierung nach Bhuttos Tod an den Tag legte, und jegliches Fehlen von Bedauern bei Muscharraf und seinen politischen Partnern haben die Überzeugung noch bestärkt, dass Bhutto einer Verschwörung zum Opfer gefallen ist. Zardari und die PPP beharren darauf, niemand außer dem Staat hätte die Möglichkeit gehabt, so einen Anschlag zu planen und durchzuführen.

Zardari und die PPP vermuten außerdem, dass Muscharraf und die Armee die allgemeinen Wahlen am 18. Februar keinesfalls stattfinden lassen, weil sie fürchten, dass die Welle der Sympathie zu einem Wahlsieg der PPP führen könnte. Alle Zeichen deuten darauf hin, dass er recht haben könnte. Die regierende Pakistanische Muslim Liga (PML) ist in Panik. Ihre Führer trauen sich nicht aus dem Haus, weil sie fürchten, die aufgebrachte Menge könnte sie niederschlagen und sie für Bhuttos Tod verantwortlich machen. Einige PML-Politiker versuchen, ethnische Spannungen zwischen Pandschabis und Sindhis anzustacheln - ein vermeintlich sicherer Weg, um die Wahlen zu verschieben. Niemand kann weitere politische Morde ausschließen.

Wenn Muscharraf in den vergangenen neun Monaten alles Erdenkliche getan hat, um den PPP-Laster zu stoppen - er hat den Notstand ausgerufen, die Verfassung außer Kraft gesetzt, Tausende eingesperrt, die Medien zensiert und Oberste Richter entlassen -, wie kann er da jetzt freie und faire Wahlen zulassen, fragt Zardari. Ebenso könnte das Militär versuchen, die Wahlen zu manipulieren, aber das ist jetzt viel schwieriger, als wenn sie, wie zunächst geplant, am 8. Januar stattgefunden hätten. Jetzt ist die Öffentlichkeit viel wachsamer, und der Hass auf das Regime hat zugenommen. Zardari zweifelt nicht daran, dass der Interservices Intelligence (ISI) die nächsten acht Wochen nutzen wird, um die PPP zu zerschlagen.

So oder so müssen Zardari und die PPP Antworten und eine Strategie finden, um diese Möglichkeit abzuwehren. Auch die verzweifelte Trauergemeinde erwartet Antworten. Vor den Toren von Naudero zieht der Strom der Menschen zum drei Meilen entfernten Grab. Hier ist Benazir begraben, an der Seite ihres geliebten Vaters, Premierminister Sulfikar Ali Bhutto, der 1979 vom Militär gehängt wurde. Es ist kaum vier Wochen her, dass Benazir zum Grab ihres Vaters pilgerte, um einen Kranz niederzulegen. Und als ob sie voller Vorahnungen war, hatte sie bei dieser Gelegenheit genau bestimmt, wo sie im Fall ihres Todes beigesetzt werden wollte.

Es sind bewegte Bilder der Trauer, die sich an der Grabstätte abspielen. Aber noch mehr ist der brodelnde Ärger zu spüren. Die Geräuschkulisse macht taub, wenn Männer und Frauen gemeinsam gehen und statt zu beten Parolen gegen Muscharraf rufen. Zwei schwarze Banner, die über dem Grab hängen, sagen alles: Eins flüstert: "Benazir - die Makellose und Unschuldige", das andere ruft: "Wir werden Rache nehmen an ihren Killern".

Ihr Grab ist bedeckt mit einem Berg von Rosenblättern. Die Blumenverkäufer sagen, dass Benazirs Tod alle Rosen in Pakistan aufgesogen hat wie ein Staubsauger. Manche Menschen nehmen eine Rosenblüte von ihrem Grab, ziehen vorsichtig den Duft ein und stecken sie dann in die Tasche. Die Erinnerung an sie und die Art und Weise ihres Todes wird Pakistan noch für Jahre heimsuchen.

Aus dem Englischen: Christine Apel

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