Pädagogisch wertvoll? Amflora-Werbung: Die Gentechniker-Zucht
Als einseitig kritisiert eine Studie das Schulprojekt Hannover-Gen. Aber Niedersachsen überlegt, ab 2013 flächendeckend Gentechnik-Unterricht einzuführen
HANNOVER taz | Pflanzt der Landwirt die gentechnisch veränderte Kartoffel „Amflora“ an, steigert er den Ertrag, sichert den Gewinn und setzt auf ein umweltschonendes Verfahren. Würde Amflora verboten, müsste der Bauer mit Ertragseinbußen rechnen und verzichte auf das Potenzial nachwachsender Rohstoffe. So steht es im Unterrichtsmaterial, mit dem das Schulprojekt Hannover-Gen Schülern ab der zehnten Klasse das Thema Gentechnik näher bringen will. Nun hat das niedersächsische Landwirtschaftsministerium vorgeschlagen, das Pilotprojekt auszuweiten. Bis 2021 könnten für rund 13 Millionen Euro landesweit 50 Schulen mit biotechnologischen Laboren ausgestattet werden.
Das Bündnis für gentechnikfreie Landwirtschaft Niedersachsen, Bremen und Hamburg hat gemeinsam mit Greenpeace Hannover nun eine Studie vorgelegt, in der Unterrichtseinheiten wie „Pommes oder Plastik?! – Amflora, die Kartoffel als nachwachsender Rohstoff“ darauf hin untersucht wurden, wie differenziert mit dem Thema Gentechnik umgegangen wird. „Die Studie hat ergeben, dass die Schüler nicht neutral informiert, sondern unterschwellig manipuliert werden“, sagt Bündnis-Sprecherin Annemarie Volling.
„Das Projekt wurde mit einer bestimmten Intention gestartet“, sagt David Petersen von Greenpeace Hannover. „Die Landesregierung betont gern, dass die Gentechnik eine Schlüsseltechnologie für die Landwirtschaft ist, es aber ein massives Akzeptanzproblem in der Bevölkerung gibt“, sagt Petersen. Tatsächlich lehnten laut einer Forsa-Umfrage im Auftrag des Bundeslandwirtschaftsministeriums im Juni 83 Prozent der deutschen Verbraucher gentechnisch veränderte Lebensmittel ab. Unter dem Denkmantel der Aufklärung werde nun an den Schulen in Niedersachsen die fehlende Gentechnik-Akzeptanz geschaffen. „Bisher wurden wir in die ideologische Ecke geschoben, ach, ihr seid eh gegen Gentechnik und gönnt uns unsere schönen Labore nicht“, sagt Petersen. Aber aus der vorgelegten Studie gehe nun hervor, dass die Unterrichtsmaterialien wirklich einseitig seien.
Gestartet wurde das Modellprojekt Hannover-Gen 2008 an vier Schulen in der Region Hannover.
Einmal in der Woche experimentieren Schüler ab Klasse 10 in Biotechnologielaboren mit Methoden aus dem Bereich Molekularbiologie und Biotechnologie.
Gesteuert und mit einer Million Euro finanziell unterstützt wird das Projekt vom niedersächsischen Landwirtschafts- und Kultusministerium.
Ausgeweitet werden soll es möglicherweise ab 2013 auf Niedersachsen-Gen an 50 Schulen im Bundesland und auf ein Budget von 50 Million Euro.
„Das ist absurd“, sagt Stefan Fenner, Sprecher des niedersächsischen Landwirtschaftsministeriums. Hier werde keine Lobbyarbeit im Klassenzimmer betrieben. „Wir bekommen ausgesprochen positive Rückmeldung aus den vier teilnehmenden Schulen.“ Und aus einer Begleitstudie der Uni Münster, die den Einfluss des Unterrichts auf die Schüler untersuchte, gehe hervor, dass sich zwar der Wissensstand der Schüler verbessert habe, nicht aber die Haltung zur Gentechnik.
Das Pilotprojekt läuft am 30. Juni 2013 aus, könnte aber verlängert und ausgeweitet werden. „Wir haben dazu eine Arbeitsgruppe gebildet“, sagt Fenner. Eventuell werde auch ein Beirat eingesetzt, der das Unterrichtsmaterial noch einmal prüft – in diesem könnten auch Kritiker sitzen. „Momentan können wir uns nicht vorstellen, in einem solchen Beirat eine Alibifunktion zu übernehmen“, sagt Petersen. Vor den Landtagswahlen gehe es darum, die Parteien zu klaren Positionen zu bringen. Linke und Grüne hätten sich bereits kritisch zu Hannover-Gen geäußert. Und am Freitag werden das Bündnis für gentechnikfreie Landwirtschaft und Greenpeace zum CDU-Parteitag in Hannover gehen – mit Banner und Flyern.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
BSW in Koalitionen
Bald an der Macht – aber mit Risiko
Dieter Bohlen als CDU-Berater
Cheri, Cheri Friedrich
Stellungnahme im Bundestag vorgelegt
Rechtsexperten stützen AfD-Verbotsantrag
Selbstzerstörung der FDP
Die Luft wird jetzt auch für Lindner dünn
Hybride Kriegsführung
Angriff auf die Lebensadern
Kinderbetreuung in der DDR
„Alle haben funktioniert“