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Pädagogenstreit in BayernRückhalt für notenkritische Lehrerin

Bayerns Lehrerverband stellt sich vor eine Grundschulkollegin, der nach umstrittenen Äußerungen die Versetzung droht. Ihre Schulleitung soll sie aufgefordert haben, schlechtere Noten zu geben.

Noten sind nicht alles? Eine Ansicht, die Sabine Czerny viel Ärger eingebracht hat. Bild: dpa

MÜNCHEN taz Eine Woche nach ihrer Versetzung von einer Schule in München-Germering hat sich der Bayerische Lehrer- und Lehrerinnenverband (BLLV) für die notenkritische Grundschulpädagogin Sabine Czerny starkgemacht. BLLV-Präsident Klaus Wenzel versuchte, die zuständige Schulamtsleiterin in einem Gespräch davon zu überzeugen, Czerny "als Leuchtturm", kompetente und hoch motivierte Kollegin zu halten. Wenzel schlug vor, einen Mediator einzusetzen. Die Versetzungsentscheidung lässt sich in den restlichen fünf Ferienwochen noch ändern.

Wenzel hat jahrelang als Seminarrektor Lehrkräfte ausgebildet und Czerny in einem ausführlichen Gespräch kennengelernt. Gegenüber der taz begründete der BLLV-Chef sein Engagement für die 36-Jährige so: "In der anspruchsvollen Art, wie Sabine Czerny Lernprozesse arrangiert, ist sie ihrer Zeit in Bayern weit voraus. Das bayerische Schulsystem ist auf Sortierprozesse festgelegt und vergleicht Kinder mit Kindern. Sie vergleicht ein Kind mit sich selbst." Auf lange Sicht aber werde sich - wie in anderen Ländern Europas - durchsetzen, was Czerny praktiziere.

Wie berichtet, war die Lehrerin nach eigener Darstellung von der Schulleitung aufgefordert worden, schlechtere Notenschnitte zu produzieren. Kurz nach ihrer öffentlichen Schilderung, auf welche Weise ein notenfixiertes Selektionssystem Kinder demotiviere, Lehrer in ihrem Engagement behindere und Eltern gegen sie aufwiegele, warf man ihr vor, den "Schulfrieden massiv gestört" zu haben.

Sabine Czerny steht nach wie vor zu ihrer pädagogischen Position, auch wenn sie drauf und dran ist, den Dienst zu quittieren: "In der Grundschule geht es doch darum, Grundlagen zu vermitteln, die alle Kinder beherrschen sollen und können. In der Grundschule muss es darum gehen, sie für das Lernen zu begeistern."

Auf die Veröffentlichungen hin bekam Sabine Czerny viel Zuspruch und sogar mehrere konkrete Angebote zur Zusammenarbeit, unter anderem von Privatschulen. Die Münchnerin, die neben ihrer Lehrertätigkeit unter anderem das Waldorfseminar absolviert hat, will jedoch grundsätzlich an einer Regelschule unterrichten.

CHRISTIAN BLEHER

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8 Kommentare

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  • KS
    Karl Self

    Ich habe Sabine Czerny bei einem Vortrag gesehen. Ihre These war schlicht: es wird an der (Grund-)schule selektiert statt gelehrt. Die meisten Kinder würden den Stoff schon packen, wenn man ihn ihnen etwas länger erklärt. Statt dessen werden die Kinder belohnt, die ihn schon beim ersten Mal gecheckt haben (oder die einfach mehr Hilfe von ihrem Elternhaus bekommen). Hier wird Intelligenz mit Kurzzeitgedächtnis verwechselt.

     

    Statt dessen fordert sie etwa einen Wissensbaum, wo die Kinder Themen wie "Addition im Zahlenraum bis 100" eben so lange behandeln bis sie es gelernt haben.

  • C
    criticos

    Lieber Herr Wenzel,

     

    es ist Ihnen hoch anzurechnen, dass Sie sich als Standesvertreter der Lehrer hinter Sabine Czerny stellen. Auch den Vorschlag mit der Mediation finde ich sehr gut.

     

    ABER: Sie wissen doch selbst, dass die Schule eine solch einschneidende Verbesserung des Grundschulunterrichts, wie sie Frau Czerny praktiziert, gar nicht leisten kann. Solange es der Zweck der Schule ist, entlang der Wissensvermittlung gleich die Selektion zu betreiben, die bereits Zehnjährige auf berufliche Zukunftschancen fixiert, wird es immer darum gehen müssen, dieses Selektionstreiben GERECHT aussehen zu lassen.

     

    Was wäre daran gerecht, wenn meine Tochter bei Czerny lernen darf und besser abschneidet als ihre Freundin in der Parallelklasse, nur weil sie die bessere, engagiertere Lehrerin hat? Da ist es für das Schulsystem doch einfacher, wenn alle Lehrer ungefähr gleich mittelmäßig sind und die Besseren ausgebremst werden. Außerdem macht das den Lehrerjob erträglicher. Viel verdient ja eine Grundschullehrerin nun mal nicht, und dass sie versucht, sich für das geringe Salär einen angenehmen Halbtagsjob zu gestalten, ist doch menschlich, das müssen Sie als Standesvertreter doch letztlich unterstützen. Schließlich weiß ja auch jede Lehrerin, dass sie am Nachmittag ihre Zeit und Kraft für die eigenen Kinder benötigt, damit die in der Konkurrenz um den Übertritt und die Noten besser dastehen.

     

    Wir (die CSU) wollen doch in Bayern erklärtermaßen 45 % Hauptschüler. Wo führte das hin, wenn 90 %, wie bei Czerny, den Übertritt an Realschule oder Gymi schafften?

     

    Verschiedene Schultypen und das Selektieren abschaffen will niemand, auch der BLLV nicht. Das ist geteilter nationaler Konsens. Wenn ich den mal voraussetze: was soll dann das Schulsystem mit Czerny anfangen? Es müsste alle Lehrer so weit qualifizieren, dass sie die gleichen Ergebnisse hinkriegen. Dann wäre alles wieder gerecht, und es könnte wieder Dreier und Vierer geben, um die Realschule zu füllen, Fünfer und Sechser für die Hauptschulen, etc. Ich habe irgendwo gelesen, dass Bayern im Durchschnitt für die Fortbildung der Lehrer 20,- € ausgibt. Stimmt das? In der Wirtschaft sind es je Mitarbeiter etwa 1.000,- €. Da liegen Welten dazwischen. Das würde eine Qualifizierungsoffensive ungeahnten Ausmaßes bedeuten.

     

    Aber immerhin würde Deutschland dann endlich bei PISA besser abschneiden. Unser deutsches Schulsystem produziert Versager: 20 % funktionale Analphabeten!

     

    Wo bitte bleibt der BLLV, sich dagegen aufzustellen? Warum bitte hat der BLLV die Kritik von Vernor Munoz von der OECD an der hohen sozialen Selektivität des Schulsystems vehement zurückgewiesen?

     

    Ich versuche eine Antwort: Lehrer sind selbst Angehörige des Bildungsbürgertums, und das versucht, seine paar kleinen Privilegien qua Bildung für den eigenen Nachwuchs zu sichern. Da ist eine Selektion, die lieber die anderen trifft, sozial Schwache und Migranten, durchaus erwünscht.

  • FJ
    Franz Josef Neffe

    Die sicherste Möglichkeit, das Gute nicht tun zu müssen, ist die, dafür zu kämpfen. Da kann jeder gegen jeden und egal für was. Und wenn der Kampf für das Gute vorbei ist, sind die Kräfte erschöpft und dann passiert wieder nichts - Gottseidank wenigstens "nichts"!

    Bei solchen Gelegenheiten kommt deutlich heraus, dass unsere Schulen keine Schulen sind. Schulen müssten Ich-kann-Schulen sein und nicht Du-musst-Schulen. Schulen müssten Gelegenheiten sein von der Liebe und vom Interesse der Lehrer für das Leben zu lernen und nicht Unterwerfungs- und Erniedrigungs- und Demütigungs- und Einfügungs- und Aufgabe-Anstalten für Lehrplanvollstreckung. Unsere "Schulen" sind Vollzugsanstalten der Staatsgewalt - aber nicht der Staatsintelligenz. Und sie sind es nicht erst, wenn das in Spannungsfällen so deutlich herausknallt, sie sind es prinzipiell - und da sollten wir alle langsam mal wenigstens im Herkunftwörterbuch nachschauen, damit wir wieder wissen, was Schule ist, und damit wir am Vergleich erkennen können, was wir daraus gemacht haben, und uns schämen. Ich grüße herzlich.

    Franz Josef Neffe

  • M
    Melanie

    Ich finde es langsam lächerlich, dass die TAZ nur einseitig berichtet. Die TAZ hat für mich mittlerweile Bild-Charakter erreicht.

    Die TAZ sollte vielleicht mal beide Seiten der Geschichte untersuchen und nicht nur alles was Frau Czerny so von sich gibt,glauben.

    Ich bin mir auch sicher,dass meine Meinung mal wieder nicht auf die E-Mail-Seite kommt.

    Ich hoffe das Frau Czerny in den Privatschulsektor wechselt. Fragen Sie sich doch mal, warum tut Sie es nicht ??? Da sag ich nur noch ein Wort: BEAMTENSTATUS

  • K
    karin

    Und wohin soll man gehen? Privatschulen kosten Geld! Alternative Schulen auch nicht immer finanzierbar...

  • HR
    helmut rasp

    liebe frau czerny,

     

    bitte bleiben sie an der regelschule!

    sonst bleibt doch alles beim alten. "die" im schulamt lehnen sich zufrieden zurück; die kolleg/innen machen mut- und risikolos weiter; die eltern sind heilfroh bwz. resignieren, je nachem, wie ihr kind selektiert wurde - und die kinder, für die dringend etwas anderes/besseres not-wendig wäre, bleiben weiterhin am rande, ja ausgeschlossen...

     

    mit freundlichen grüßen

     

    helmut rasp

  • TF
    Thomas Fahrendorf

    Das Beispiel Frau Czerny bestätigt meine Negativ-Erfahrungen im Lehramtsstudium und davor, die mich bewogen haben, mir eine Referendariatsstelle an einer Privatschule zu suchen. Für diesen Staatsschulbereich werde ich wenn möglich nicht arbeiten, so lange das pädagogische Profil weiter darin besteht, mit relativ arbiträr vergebenen Noten Kinder in sehr gut bis ungenügend zu kategorisieren. Dieses Messinstrument ist von vorgestern! So liegt die Zukunft im Privatschulbereich, die eine freiere Pädagogik praktizieren können.

  • FS
    Fred Scholz

    Während der Schulalltag der 70iger Jahre von Experimenten und Freiheiten geprägt war, geht der Trend seit den 80igern wieder in Richtung "Alte Schule" des deutschen Kaiserreiches.

    Eliteschulen für die Reichen und Volksschule für die Unterschichten und Ausländern.

     

    Ich habe selbst mit meinen Kindern erlebt, wie kinderfeindlich und selektiv unser Schulsystem ist. In Niedersachsen war man auch noch in der Lage, die OS abzuschaffen und zum alten 3 Stufenschulmodell des späten 19. Jahrhunderts zurückzukehren. Das wurde natürlich als Fortschritt verkauft und echten Widerspruch gab's eh nicht.

     

    Wer seinen Kindern etwas Gutes tun will, sollte seine Koffer packen und gehen. Denn gute Lehrerinnen wir Frau Czerny werden sich LEIDER nicht gegen den Beamtenstaat durchsetzen können. Denn hier wird immer noch Bildung um seiner selbst willen GEPLANT, aber nicht nach den Bedürfnissen und Fähigkeiten der Kinder.