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PVAP vor Zerreißprobe

Vor dem zweiten Teil des ZK-Plenums: Vier Hauptrichtungen kämpfen in polnischer KP um die Führung / Parteispitze will Einheit um jeden Preis / Weitgehende Personalveränderungen erwartet  ■  Aus Warschau Klaus Bachmann

„Der Sozialismus war eine einzige Pleite“, findet Ryszard Wojna, einstmals PVAP-Abgeordneter, jetzt außenpolitischer Kommentator der Partei. „Wir sollten die Partei auflösen und eine neue, linke, humanistische Partei gründen.“ Ein Vorbild dafür hat Wojna auch schon: Die sozialdemokratische PPS der Zwischenkriegszeit, der er selbst bis 1948 angehört hat. Wie Wojna denken zur Zeit viele in der PVAP, bis in die obersten Führungsgremien hinein.

Am 8.Juli haben sie sich an der Warschauer Universität getroffen und die „Bewegung 8.Juli“ gegründet, die mit der Vergangenheit und den Fehlern der PVAP, ja sogar mit der Partei selbst gründlich aufräumen will.

„Wenn sich die Partei in drei oder vier Jahren freien Wahlen stellen muß, dann darf die Wähler nichts mehr an die Vergangenheit erinnern“, meint Leszek Jaskiewicz, Chef der Bewegung 8.Juli. Die Leute vom 8.Juli, die zur Zeit überall im Lande in Parteigruppen und Betrieben um Unterstützung werben, gehen dabei auch bewußt das Risiko einer Spaltung der PVAP ein. Die Dogmatiker, darunter verstehen alle in der Partei, die damit nicht gemeint sind, die Fraktion um Miodowicz, den Chef der offiziellen Gewerkschaften OPZZ, gehen in letzter Zeit offen dazu über, die Gründung einer eigenen Partei zu betreiben. Die OPZZ, so ließ Miodowicz mitteilen, werden sich an den Vorbereitungen zum 11.Parteitag der PVAP nicht beteiligen, „weil sie unabhängig sind und die Parteimitgliedschaft von Gewerkschaftern deren Privatangelegenheit ist“.

Bei den Leuten vom 8.Juli ortet man in den Gewerkschaften ein gefährliches Konfliktpotential aus Dogmatikern, enttäuschten Opfern der Wirtschaftsreformen und in ihrer Position bedrohten Apparatschiks. Die müssen denn auch für die Parteiführung als Begründung herhalten, den Parteitag bis ins Frühjahr 1990 hinauszuschieben. Man wolle, so meinen führende Genossen, langfristig mit der jetzigen Regierung zusammenarbeiten, doch sei dies nur möglich, wenn die jetzige reformbereite Führung am Ruder bleibe. Komme der Parteitag zu früh, bestehe die Gefahr, daß die Basis mit der Führung abrechne und die Populisten und Dogmatiker das Ruder übernähmen.

Allerdings sind es nicht nur Leute wie Miodowicz, die so schnell wie möglich den Parteitag einberufen wollen, sondern auch die Bewegung 8.Juli und zahlreiche ähnliche Reformgruppen. Für die meisten Mitglieder der Bewegung ist klar, daß in der Partei, die ihnen vorschwebt, für die jetzige Führung - bis auf einige Ausnahmen vielleicht - kein Platz mehr ist. Wenn man unter den Bedingungen des Pluralismus nicht in der Bedeutungslosigkeit verschwinden wolle, müsse man auch personell mit der Vergangenheit brechen.

Für den Fall, daß sich die sozialdemokratische Linie durchsetze, scheint Tadeusz Fiszbach aussichtsreicher Nachfolger Mieczyslaw Rakowskis als Parteichef zu sein. Fiszbach, der seinem Festhalten am Danziger Abkommen von 1980 wegen von der Partei 1982 auf einen drittrangigen Auslandsposten geschickt wurde, feierte als mit Solidarnosc -Unterstützung gewählter Abgeordneter ein politisches Comeback, nachdem er im Sejm ohne Gegenstimme zum Vizemarschall gewählt wurde. Er hat auch deshalb gute Aussichten auf eine weitere Karriere, weil er mit einer dritten Gruppierung verbunden ist, die in letzter Zeit dem Parteiapparat - besonders dem ZK - den Rang abzulaufen droht: die Sejm-Fraktion der PVAP.

Die Abgeordneten, im Grunde von der Parteiführung unabhängig und erstmals in offener Wahl ins Amt gekommen, zeigen keine Lust, sich den Strategien des Politbüros unterzuordnen. Für die derzeitige Führung schafft das eine Lage, in der sie im Grunde in der Partei kaum noch eine Basis hat. Ihre Strategie, den Parteitag noch hinauszuschieben, begründet sie daher vor allem damit, daß das Land in einer tiefen Wirtschaftskrise einen stabilisierenden Faktor brauche. Deshalb dürfe die Partei nicht gespalten werden. Doch nicht nur Jaskiewicz bezweifelt, ob sich mit dem Hinauszögern des Parteitags die Spaltung verhindern läßt.

Wer zur Zeit im Zentralkomitee die Mehrheit hat, weiß niemand genau. Aus einer Umfrage, die das ZK unter allen Mitgliedern durchgeführt hat und an der sich 54 Prozent der Mitglieder beteiligt haben, ist jedenfalls ein Trend für die Radikalen erkennbar: Es scheint eine Mehrheit zu geben für von der Bewegung 8.Juli geforderte Statutenänderungen, entsprechende Parteitagsvorbereitungen und einen schnellen Parteitag. Demnach sollen auch Parteikandidaten volles Stimmrecht erhalten und Delegierte mit eigenen Programmen auftreten dürfen.

Eine weitere Verjüngung der Kader ist angesagt, denn wenn die Führung eine Spaltung verhindern will, so kann sie dies nur, indem sie die auseinanderdriftenden Strömungen in die Führung integriert. Für die Parteispitze steht am Dienstag viel auf dem Spiel. Eine Vorentscheidung über die Zukunft der PVAP wird auf ihrem heutigen ZK-Plenum fallen.

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