PRESS-SCHLAG: Nur ein mickriges Geschäft
■ Die 85 Millionen Mark für den Fußballer Lentini dienen einzig der Publicity — statt Barzahlung wird getauscht
Von den horrenden Summen, die allenthalben in Italiens Sport kursieren, hat der Regierungsveterinär Francesco Censi aus Cisterna präzise Vorstellungen: „Alles Humbug“. Darum kann er nur herzlich lachen, wenn er von den 65 Milliarden Lire (85 Millionen DM) hört, die AC Milan-Chef Silvio Berlusconi für Gianluigi Lentini bezahlt haben soll. Daß sich darüber alle aufregen, vom Vatikanblatt 'Osservatore romano‘ bis zum 'Corriere della sera‘, daß sogar im Parlament darüber diskutiert wird und der Sozialminister interveniert, ist nach Censi „entweder Zeichen, daß die nix kapiert haben — oder daß sie den Jux mitmachen“.
In Wirklichkeit sei es im Fußball „nicht anders als beim Pferdehandel“: „Da bietet einer einen Gaul für 20 Millionen Lire (27.000 DM) an, der gerade die Hälfte wert ist. Er findet einen Käufer — der allerdings zur Bedingung macht, daß er sein eigenes Pferd als Teil der Summe geben kann. Diesen Gaul setzt er, obwohl er gerade fünf Millionen wert ist, mit stolzen 15 Millionen an. Der Unterschied wird in bar bezahlt. Auf diese Weise fließen genau die fünf Millionen, die die Differenz der beiden ausmachen, in bar, doch Käufer wie Verkäufer können behaupten, wertvolle Pferde zu besitzen.
Ähnliches vermutet nicht nur Censi, sondern auch ein Teil der Mailänder Finanz-Kundigen auch hinter dem spektakulären Coup Berlusconis in Sachen Lentini. Daß der 23jährige AC-Turin- Spieler von seinem Können her bisher kaum ein Zehntel der Summe wert ist, gilt allen Fußballkennern für ausgemacht, doch „hier muß man bedenken“, so Alt-Nationalspieler Gianni Rivera, „daß hinter der Sache Italiens größter Medienkonzern steht“. Tatsächlich fügt sich der Super-Kauf ein in eine Strategie, die in Italien um sich greift und deren Erfindung dem Chef von Juventus Turin, FIAT- Eigner Gianni Agnelli, zugeschrieben wird: Wo man keine wirklich guten Spieler auftreiben kann, macht man sie eben — publicitymäßig. So trommelten die von Agnelli abhängigen Sportmagazine, aber auch die Tageszeitungen 'La Stampa‘ und 'Corriere della sera‘ den seinerzeit fast unbekannten Sizilianer Toto Schillaci zum Super- Torjäger hoch; dann holte ihn Agnelli mit Fanfarenklängen zu Juventus. Tatsächlich zeigte die Kampagne solche Wirkung, daß sich gegnerische Verteidiger von dem quirligen, aber undisziplinierten Südstaatler lange Zeit verwirren ließen.
Nach der WM 1990 zeigte sich jedoch, daß der Mann sein Pulver bald verschossen hatte. Er wurde mittlerweile, sang- und klanglos, nach Sardinien verkauft. Bezahlt gemacht hat er sich dennoch: In der Zeit, in der noch alle Angst vor ihm hatten, kamen so viele Zuschauer ins Juve-Stadion wie nie zuvor. Berlusconi möchte diese „künstliche Befruchtung der maroden Kickerindustrie“ ('il manifesto‘) nun wohl wiederholen.
Daß Geld dabei keine Rolle spielt, wie ausländischen Zeitungen behaupten, stimmt dabei nur bedingt. Tatsächlich wird auch beim Fußball nahezu alles so abgewickelt wie beim Pferdehandel. Seit die großen Vereine Teile riesiger Mischkonzerne sind, haben die Clubchefs nahezu unbegrenzte Möglichkeiten, die Preisgelder mehr über „Naturalien“ abzuwickeln. In der Regel tauschen die Vereinseigner die abgesprochene Summe über Immobilien- und Geschäftsanteile, Aktien oder Kredite zu Sonderbedingungen aus. So kann Berlusconi für einen Großteil des Kaufpreises Werbeeinschaltungen in seinen Sendern bieten, die ihn keine Lira kosten, Häuserzeilen aus seinem Bauimperium überschreiben, für die er allenfalls ein paar Dutzend Millionen Materialkosten hatte, oder Aktien aus seiner Fininvest-Holding überlassen, deren Schicksal absolut ungewiß ist. Auch die gekauften Spieler selbst werden in dieser Weise bedient.
So fürchten die Großmaul-Fußballdealer am Ende nur eines: das Finanzamt. Weniger deshalb, weil die Fiskalbeamten etwa die angegebenen Summen ernst nehmen und danach allzu kräftig Steuern abzapfen könnten. Eher das Gegenteil: daß die von den Ämtern bei ihren Prüfungen festgestellten effektiv geleisteten Transfersummen eines Tages bekannt werden könnten. „Dann käme mal raus“, so Censi, „daß der Weltrekord-Kauf von 65 Milliarden Lire am Ende nur ein mickriges Geschäftchen von acht oder zehn Milliarden war.“ Werner Raith
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