PRESS-SCHLAG: Sternstunden des Sportjournalismus
■ Oder: Kann Dummheit töten?
Kürzlich hat ein Journalist die Aufschläge von Boris Becker innerhalb des letzten halben Jahres zusammengezählt. Und sich gefragt, wie ein Körper derartige Belastung überhaupt aushalten kann.
Doch beim Daviscup in Berlin drängt sich eine wesentlich existentiellere Frage auf: Wie um Himmels Willen kann Becker nur die entnervenden Pressekonferenzen ertragen, ohne laut zu schreien und wild um sich zu beißen. Gibt es doch kein Spiel, wo die sogenannte internationale Journallie nicht — lechzend nach dem O-Ton — zum ewig gleichen Frage-Antwort- Spiel in den Interview-Raum bittet.
Was ja noch ginge, wenn sie denn Fragen hätte. Aber: In Wahrheit darf nicht gefragt werden. Bloß vorsichtig. Nicht auszudenken, wenn man eine schlaue Frage stellt, die Becker am Ende inhaltsschwanger beantwortet. Wie schrecklich die Vorstellung, daß die Kollegen von meiner so wunderbar gestellten Frage am nächsten Tag den Aufmacher kreieren. Und wir kommen erst am Montag raus, die aber am Sonntag. Also doch lieber nach dem dritten Ball im zweiten Spiel fragen und hoffen, daß man den Helden danach im Gang ganz exklusiv abfängt.
So haben sich schließlich alle Akteure stillschweigend auf das belanglose Blabla danach mit anschließender Hetzjagt geeinigt. Oberste Prämisse des Spielchens ist allerdings, das Opfer bei Sprache zu halten. Und gegen ebendiese goldenste aller goldenen Regeln wurde in Berlin aufs Allerschmählichste verstoßen. Was, nebenbei gesagt, wiederum einen Rekord darstellt, war man doch bisher davon ausgeganen, daß die Plattheit der Fragen ohnehin kaum noch zu übertreffen sei.
Doch so kann man sich irren. Kaum nämlich begann die Fragerei rund um den dritten Ball des zweiten Spiels, meldete sich ein unidentifizierter Kollege in der ersten Reihe zu Wort, um die erschütternde Frage zu stellen: „Boris hat sich das auf dein Spiel ausgewirkt, daß Katarina Witt zugeschaut hat? Hast du dich dafür extra angestrengt?“ Da staunte die Nummer eins, während sich die Meute vor ihm vor Schreck und Scham wand.
Doch damit nicht genug, gerade, als man Boris mühselig wieder zum Reden bewegen konnte, setzte der dreiste Frager nach: „Boris, während deines Matches hat plötzlich ein Telefon geklingelt. War das vielleicht eine Verabredung für dich?“ Und ein weiterer Schwachkopf ergänzte: „Vielleicht mit Kati Witt?“
So tat Herr Becker, der philosophische Tennisspieler, das einzig Richtige. „Noch Fragen zum Spiel? Nein: Danke, das war's.“ Und er entschwand und sprach kein einzig Wort mehr. Zu gar niemand. Zu groß war die Gefahr. Denn nun wußte er: Der Schwachsinn lebt.
Miß Schießl/Andreas Mante
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