PRESS-SCHLAG: Geläuterter Dynamo
■ Der historische Namensstreit um den Fußballclub Dynamo Windrad wurde klammheimlich beigelegt
Die Kicker von Dynamo Windrad hatten für den Sommer schon eine Jubiläumsfeier zum zehnjährigen Namensstreit mit dem Hessischen Fußball-Verband (HFV) in Betracht gezogen, als nun auf ihrer Kasseler Geschäftsstelle eine Rechnung einging, die alle Planungen über den Haufen warf. Lapidar forderte da nämlich der Landessportbund Hessen mit Rechnungsnummer 8043 von den alternativ bewegten Balltretern 239,80 DM für anteilig zustehende Mitgliederbeiträge. Die Dynamo- Aktivisten trauten ihren Augen nicht: Mit der Zahlungsaufforderung der Sportbehörde war klammheimlich ein Rechtsduell zu Grabe getragen worden, das nicht nur die ganze Bundesrepublik einst zum Schmunzeln gebracht, sondern auch das Bundesverfassungsgericht beschäftigt hatte.
Vom Sinneswandel der Bürokraten, die Dynamo offiziell nie Dynamo sein ließen, hatten die Freizeitkicker nicht den blassesten Schimmer, erst nach Eingang der Überweisung bestätigte der Landessportbund Hessen offiziell die revolutionäre Kunde. Wahrlich eine ironische Fußnote des deutsch-deutschen Einigungsprozesses. Nun, da die Profifußballer von Dynamo Dresden bald in der Bundesliga um Punkte und Tore kämpfen werden, darf in der Kasseler C-Klasse auch Dynamo Windrad endlich per Verbands-Ukas der Lederkugel hinterherjagen.
Nahezu eine ganze Dekade haben sich die Funktionäre mit den Hobbyfußballern aus Nordhessen herumschlagen müssen. Zwischen den Parteien entwickelte sich mehr und mehr eine Auseinandersetzung mit tragikomischen Zügen zwischen Ernst und Eulenspiegelei, ein Kopf-Duell, das der Kleinverein gern auch als Medienspektakel inszenierte. Suspekt war den Verbandsoberen der Namensbestandteil Dynamo. Sie sahen darin eine anrüchige Affinität zu Bezeichnungen im ehedem sozialistisch-kommunistischen Staatenblock. 1983 bereits wurde dem Club vom Justitiar des Deutschen Fußballbundes (DFB), Götz Eilers, mitgeteilt, man könne diesen Namen auf keinen Fall anerkennen, „weil er zu sehr den Gepflogenheiten der Vereine in der DDR, beziehungsweise den Ostblockstaaten“ ähnele.
Das Frankfurter Landgericht befürwortete hingegen die Aufnahme in den Verband mit dem eleganten Kompromiß, Dynamo bezeichne ein technisches Gerät zur Energieumwandlung und sei von daher neutral, doch der Gegenzug folgte auf dem Fuße. Von der „geradezu erschreckenden Naivität“ der Richter in heilige Empörung geraten, strengte der HFV die Revision vor dem Oberlandesgericht an. Dieses urteilte 1985, daß die Aufnahme der Kicker verweigert werden könne, und das von den Kasselern daraufhin angerufene Verfassungsgericht verwarf die eingereichte Beschwerde 1987, weil sie keine hinreichende Aussicht auf Erfolg habe.
Die Dynamo-Kicker heckten jedoch weiter neue Winkelzüge aus. 1988 begehrten sie als erster Verein aus der BRD die Aufnahme in den DTSB der DDR. Der zeigte Sympathie, beschied aber, daß nur Bürger der DDR am Spielbetrieb teilnehmen dürften. Erst das Ende der DDR hat den Nordhessen ihre so sehnlichst erwartete Verbandszugehörigkeit gebracht.
Quo vadis, Dynamo? Stürzt das Kicker-Kollektiv aus Kassel nun, da das Happy-End sich so überdeutlich abzeichnet, in eine Sinnkrise? Immerhin war der Streit, selbst der Verein gibt das zu, lange Jahre nur noch als PR-Gag betrieben worden, weil niemand an eine realistische Erfolgschance glaubte.
Eilends wurde nach der HFV- Zulassung eine Mitgliederversammlung einberufen, um die dynamische Basis nach dem weiteren Vorgehen zu befragen. Nach „harten und heißen Diskussionen“ war klar: Dynamo Windrad zieht in der nächsten Saison in der Kasseler C-Klasse ins Gefecht. Ein Vereinssprecher: „Jede andere Entscheidung hätte uns lächerlich gemacht.“ Jörg Allmeroth
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen