PRESS-SCHLAG: „Wenn's geht — verloren“
■ Boris Becker — der Film oder Wie die Thränhardt-Brüder mal eine Idee hatten
Manche sind einsam, groß und einsam, und wie es in ihren Herzen aussieht, das weiß keiner. Wer ahnt schon, wie Kim Il Sung sich beim Frühstück fühlt, oder Helmut Kohl, wenn er die Wäsche wechselt, oder Michael Jackson, wenn er sich die Bleichcreme aufs Gesicht schmieren läßt?
Bei Boris Becker aber ist alles anders. Der hat einen Freund. Noch besser: Er hat zwei Freunde. Und einer von ihnen, Bernd heißt er, kennt sich aus mit Kameras. Und er hält sie drauf. Für uns. Für Sie.
Falls Sie einer der 250.000 Kunden des Hamburger Pay-TV-Senders „Premiere“ sind, können Sie heute abend (und am 28. Dezember in der ARD)) ganz privat, 90 Minuten lang, den wahren Boris Becker erleben — gesehen durch die Augen von Bernd und Carlo Thränhardt. „Das menschliche Leben von Boris“, wie es Carlo, der Hochspringer a.D., schlagzeilenträchtig formuliert. Emotional, aufrichtig und ehrlich soll das Porträt sein: „In seiner Offenheit einmalig.“
Reinhold Beckmann, Sportchef von „Premiere“, findet das schwülstige Opus, für das sein Sender satte 150.000 Mark gelöhnt hat, „ganz in Ordnung“. Aber, und das gibt der leicht gequälte Moderator, der früher in der ARD-Sportschau durch gewagte Krawatten auffiel, schon zu, er hätte „einiges wohl anders gemacht, mal die eine oder andere Frage anders gestellt“. Aber alles in allem, sagt Beckmann, und es bleibt ihm auch nichts anderes übrig, bewundere er „den Mut der Thränhardt-Brüder, sich voll und ganz auf Boris Becker zu konzentrieren“.
Mut? Oder war es schiere Faulheit, bloße Einfallslosigkeit gar? Egal — Freundschaft ist kostbar, das wissen die zwei Thränhardts, und diese ganz besonders. Wer ein Stück von ihrem Becker abhaben will, muß bezahlen, und zwar ordentlich, mehr noch als im Gewerbe üblich ist: 25.000 Mark für Standfotos aus dem Film, die es normalerweise kostenlos gibt. Und deren Qualität lehrt die Profis das Grausen. „Für eine Schülerzeitung“, glaubt ein Redakteur vom 'Stern‘, „wäre das Material verwertbar — vielleicht.“
Aber egal, avanti dilettanti, Boris — der Film. Die Musik (Zusammenstellung: B.B.) voll aufgedreht und dann Boris, ganz nah. Boris Popstar: mal mit Dreitagesbart, mal frisch rasiert, mal frisch gefönt, mal im Schneidersitz auf einem Sofa, mal vor einem Poster „I love liberty“.
Boris Menschenfreund: mal Kinderköpfe streichelnd, mal die Straßen rauf-, mal sie runtergehend, Autogramme gebend.
Boris Weltmann: heute hier, morgen dort, heute New York, morgen Sydney, fremde Betten, fremde Zigaretten, der Hauch von Einsamkeit und immer wieder Monte Carlo: „Ich weiß“, sagt Boris, „da war ich vor drei Jahren mit diesem Mädel.“
Nicht, daß er nur nett gucken täte in „Advantage Emotion“; er denkt ja auch. Und zwar folgendes: „Ich wollte schon immer ganz oben sein — ich wollte schon immer der Beste sein.“ Scharfsinnig analysiert er Niederlagen: „Ich hab' im Halbfinale — wenn's geht — verloren.“ Außerdem denkt er über „sein großes Glück“, seine Privilegien nach. „Ich kann frei entscheiden, ob ich morgen aufwache oder nicht.“ Boris Freiheitskämpfer.
Manchmal sagt der Weltstar auch gar nichts, aber dann kommt die Synchronstimme Robert de Niros aus dem Off, und über allem liegt Hollywood-Lyrik. Wir erfahren, daß die Steueroase Monte Carlo „Heimat der Heimatlosen ist“ und daß Boris dort Kraft für sein aufreibendes Leben tankt, denn „nicht lauwarm mag er es, heiß oder kalt muß es sein“; irgendwann „verblassen dann Gedanken in der Verzweiflung“.
Schmerz laß nach, Vorteil Gefühl, traurig wie Drafi Deutscher, wenn Marmor, Stein und Eisen bricht, hat sich Boris nach der Trennung von Freundin Karen gefühlt. „Ich lag in der Badewanne in einem Hotel und hatte von Tuten und Blasen keine Ahnung mehr.“ Aber das Leben geht weiter. „Es kommen immer schöne Mädels vorbei, da muß ich die Zähne zusammenbeißen.“
Dennoch. Da gibt es jetzt eine, die verweigert sich und das ärgert den Helden dann doch. Zumindest im Film soll Karen Schultz, die Ex- Freundin, an seiner Seite bleiben — ob sie will oder nicht. Und sie will partout nicht. Das hat sie das Trio fatale schon bei den Dreharbeiten wissen lassen, und noch vor zehn Tagen hatte Boris seiner Ex-Freundin am Telefon versprochen: Okay, das Zeug kommt raus. Doch an drei Stellen des Films taucht die Hamburgerin prominent auf. Wie sagte doch Carlo Thränhardt? Das Prinzip dieses Films sei Ehrlichkeit und Offenheit. Das kann Karen nun nicht finden und sie hat einen Anwalt eingeschaltet. Doch Carlo, der Ehrliche, der Offene, der Freund, sorgt sich plötzlich um die Ästhetik: „So ein Schnitt — das würde die Balance zerstören.“ Uwe Biber
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