PRESS-SCHLAG: Berlin lernt Deutsch
■ Gegenkandidat Peking läßt seine BewohnerInnen Fremdsprachen für die olympischen Gäste büffeln
Gehört Berlin überhaupt noch zu den Gegenkandidaten Pekings?“ fragte mich ein ernsthaft interessierter chinesischer Sportjournalist bei den Fußball-Weltmeisterschaften der Frauen. Seine Frage hatte ihre absolute Berechtigung. In der Sportpresse der Volksrepublik der 1,2 Milliarden Menschen werden alle Meldungen aus dem fernen Berlin ausführlich und hervorragend plaziert abgedruckt, die von den vorolympischen Querelen des deutschen Olympia- Ambitionisten berichten. Boris Beckers schroffe Ablehnung als Olympiabotschafter ist jedem chinesischen Sportfan genauso bekannt wie Helmut Kohls Zweifel.
So etwas kennt man in Peking natürlich nicht. Die Stadt bereitet planmäßig und übereifrig ihre Bewerbung vor: Der erste Test verlief bereits erfolgreich. Bei den Asienspielen 1990 starteten 6.000 Athletinnen und Athleten aus 37 Ländern und Regionen. Über eine Million Zuschauer verfolgten die verschiedenen Wettbewerbe. Unmittelbar danach rief der Bürgermeister von Peking, Chen Xuting, die Bürger seiner Acht-Millionen-Stadt auf, Fremdsprachen zu lernen.
Während die Berliner sich im Höchstfall bemühen wollen, zu Ehren Olympias ein verständliches Deutsch zu sprechen, läuft der Wettbewerb „Jeder Pekinger lernt eine Fremdsprache für unsere olympischen Gäste“ inzwischen auf Hochtouren. Seit Bekanntwerden der 2000er Pläne der chinesischen Hauptstadt gehen beim Vorbereitungsbüro außerdem täglich Geldspenden der Bevölkerung ein, was bei einem Monatsgehalt von umgerechnet 70 Mark einigermaßen erstaunlich ist.
Die Hoffnung der sportverrückten Chinesen tragen drei Männer, die Olympia 2000 für Peking sichern sollen: Wu Shauzu, ehemaliger General der Volksbefreiungsarmee und seit dem Olympiadebakel von 1988 Sportminister, krempelte das Sportsystem des Landes um und sorgt für genügend Medaillenkandidaten. He Zhenliang, Präsident von Chinas NOK und Vizechef im Internationalen Olympischen Komitee, soll die IOC-Altriege für Peking begeistern und für genügend Stimmen sorgen. Henry Fok schließlich, ein Milliardär aus Hongkong, sorgt für das nötige Kleingeld. Der sportvernarrte Hongkong-Chinese spendierte dem Sport der Volksrepublik bereits 250 Millionen Mark.
Allein 1991 fanden in Peking 18 internationale Veranstaltungen statt. Für die nächsten Jahre hat sich die Stadt um mehrere Meisterschaften beworben. Trotzdem ist man in einem Punkt nicht weiter als Berlin: Es gibt noch keine einzige olympiareife Wettkampfstätte. Aber auch das ist für die Chinesen kein Problem: Ein Stadion für die Fußball-WM der Frauen entstand in nur neun Monaten inmitten ehemaliger Reisfelder. bossi
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