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PRESS-SCHLAGDer Gefoulte selbst!

■ Der 30. Spieltag der Bundesliga brachte endgültige Gewißheit über den idealen Elfmeterschützen

Wer soll die Elfmeter schießen? Ganz klar: der Gefoulte selbst. Die verstaubte Theorie, die das Gegenteil behauptet, gehört schleunigst auf den Komposthaufen der Fußballgeschichte, wo sie in trauter Eintracht mit der Manndeckung, der Abseitsfalle und Bayern München in Ruhe dahinfaulen mag.

Was kümmert es einen Roberto Baggio oder Marco van Basten, ob sie oder ein Mitspieler Opfer der strafstoßwürdigen Untat wurden, und auch begeisterte Elfmeterschützen vergangener Tage scherten sich wenig um das vermeintlich eherne Gesetz. Undenkbar, daß beim SSC Neapel jemand anders als Diego Maradona, der Vielgefoulte, die Strafstöße ausführte. Michel Platini, Zico, Günter Netzer, Gerd Müller zögerten, wenn der süße Pfiff des Schiedsrichters ertönte, keine Sekunde, sich aus dem Staube des Strafraums zu erheben und eigenfüßig zur Tat zu schreiten. Allein Johan Cruyff, der sonst alles selbst machte, verzichtete auf den zweifelhaften Ruhm des Elfmeterschützen. Ihm war diese Tätigkeit viel zu profan, dafür hatte er seine wandelnde Brechstange, Johan Neeskens.

Große Elfmeter der Geschichte belegen allerdings, daß es eine Ausnahme gibt: die Schwalbe. Während noch im WM-Finale 1982 alles in bester Ordnung war, als anstelle des zu Boden gebriegelten Collovati Verteidiger Cabrini den fälligen Strafstoß gegen die Deutschen verschoß, wäre es der Dreistigkeit eindeutig zuviel gewesen, hätte im WM-Finale von Rom gegen Argentinien Rudi Völler jenen Elfmeter ausgeführt, der Maradona noch heute die Tränen in die Augen treibt. Ein Fehlschuß wäre die logische Konsequenz gewesen, also trat, da Lothar Matthäus in solchen Momenten lieber ganz klein wird, Andreas Brehme zur Vollstreckung an und traf zum Titel.

Im Finale von 1974 schnappte nach Bernd Hölzenbeins Sturzflug im niederländischen Strafraum ein dreister Jüngling namens Paul Breitner seinem vorgesetzten Bomber den Ball weg und kickte ihn nonchalant zum vorentscheidenden 1:1 ins Tor. Das 2:1 durch Gerd Müller war dann nur noch Formsache, weitere Hölzenbeinsche Hechtsprünge blieben unbeachtet, der Weltmeistertitel war der Lohn für Breitners Tat, über die er nach eigenem Bekunden am nächsten Tag selbst höcht entsetzt war.

In die Fußstapfen des bärbeißigen Bayern mit dem ausgeprägten Selbstbewußtsein würde gern ein Bewohner des derzeitigen Jammertales namens Bayern München treten: Stefan Effenberg. Die Gelegenheit schien gekommen, als Schiedsrichter Assenmacher den Münchnern in der 82. Minute beim Stande von 1:2 gegen Nürnberg einen Elfmeter zusprach. Während Trainer Erich Ribbeck noch händeringend versuchte, Olaf Thon, bekanntermaßen einer der sichersten Schützen der Liga, zur Ausführung zu bewegen, war Effenberg bereits im Ballbesitz, wies den entsetzten Thon brüsk zurück und schlappte den Ball kraftlos in die Arme des erfreuten Nürnberger Keepers Köpke. Das Match ging mit 1:3 verloren und Ribbeck wagte danach eine kühne Prophezeiung: „Effenberg wird mit Sicherheit keine Elfmeter mehr schießen.“

Wer aber dann? Nun: der Gefoulte natürlich. In diesem Fall wäre das Bruno Labbadia gewesen, und daß dieser gar nicht zur Diskussion stand, zeigt, wie wenig die Bayern von den neuen Entwicklungen im modernen Fußball mitbekommen haben. Dabei hatte ihnen der Argentinier Sergio Zarate in der 42. Minute Theorie und Praxis des Strafstoßes im ausgehenden 20. Jahrhundert extra noch mal eindrucksvoll demonstriert. Von Jan Wouters unsanft auf der Strafraumgrenze gestoppt, griff er sich das Leder, hielt kurze, trotzige Zwiesprache mit dem Kollegen Dorfner und schob den Ball zügig ins Netz. Ebenso verfuhr Hans-Jörg Criens von Borussia Mönchengladbach in der 35. Minute beim 1:0-Sieg gegen den Meister aus Kaiserslautern.

„Wenn von immer demselben Spieler individuelle Fehler begangen werden, dann wird er nur noch Zuschauer sein — es sei denn, er ist lernfähig“, drohte Ribbeck nach der erneuten Heimniederlage. Eine Maxime, die für Trainer erst recht zutreffen sollte. Mit Spannung sehen wir also dem nächsten Elfmeter für die Bayern entgegen. Besonders, wenn Stefan Effenberg der Gefoulte ist. Matti

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