PRESS-SCHLAG: Die Regen-Macher
■ Regen-Tennis als neue Variante im Tennis-Zirkus
Falsch ist es, uns hochgradig heuchlerisch, das weinerliche Geschrei um den vielen Regen beim Hamburger Tennisturnier. Denn, bitte schön, was erwartet ein Veranstalter, der ausgerechnet in Hamburg ein Freiluftturnier veranstaltet? Und das im Mai, dem Monat, in dem die hanseatische Sonne durchschnittlich nur an zehn Tagen hervorkriecht? Er erwartet natürlich Regen. Und der kommt, stets und immer, und macht den Tennisspielern das Leben schwer.
Was dem Veranstalter herzlich egal sein kann. Das hohe Preisgeld sichert die Teilnahme der Cracks. Die teuren Eintrittskarten gehen Jahr für Jahr im Vorverkauf weg, zudem scheinen die eingeborenen Hamburger von Natur aus imprägniert zu sein. Ungerührt sitzen sie im Nieselregen, ohne daß auch nur die Hand nach dem Schirm zuckt.
So drängt sich der Verdacht auf, daß die Organisatoren gerade durch die Witterung zu völlig neuen Formen des Sponsoring finden: Bei der 25. Regenunterbrechung, so versprach der Turnierdirektor, gäbe es auf dem Centre Court freien Champus für alle. Tatsächlich wurde diese Marke nur knapp unterboten. Denn sogar das Finale zwischen Stefan Edberg und Michael Stich — stilecht wegen Regens auf Montag verschoben — mußte zweimal unterbrochen werden. Nach einer Stunde wurde beim Stand von 5:5 für 85 Minuten pausiert, Unterbrechung Nummer zwei — es stand 1:1 im dritten Satz — dauerte eine dreiviertel Stunde. 45 Minuten zu lang für Michael Stich. Den ersten Satz hatte der neue Freund von Boris Becker noch mit 7:5 gewonnen, mußte den zweiten jedoch 4:6 abgeben. Im dritten Satz hat ihm die Pause die Lust wohl endgültig geraubt. Die Achillessehne schmerzte, und offenbar war der Mann aus Elmshorn dünnhäutig geworden ob des vielen Regens. Mit 1:6 gab er den dritten Satz und den Turniersieg ab.
„Hier gewinnt der, der die Regenpausen am besten verkraftet“, schnurrte der Oberlehrer der Tennis-Nation, Günther Bosch. Und ebenjenes ist das innere Gesetz von Hamburg: Hier wird der Regen- Macher gekürt, der Mann mit den wasserdichtesten Nerven. Eine Psycho-Variante, die die Hamburger, ohnehin immerzu eifersüchtig nach Britanniens Habitus schielend, von Wimbledon abgeguckt haben. Das hochherrschaftlichste Tennisturnier der Welt findet unter ähnlich feuchten Bedingungen statt, im Juni in der Nähe Londons. „Das ist wirklich völliger Schwachsinn“, bemerkte vor Jahren schon John McEnroe gewohnt treffend, und behielt bis heute Recht. Vergangenes Jahr mußten die Spieler und Spielerinnen bis zu vier Tage in Gruppenhaft im Locker-Room verbringen, bevor sie, unterschiedlich zermürbt, den rutschigen Rasen betreten durften. Und auch dort entschuldigten sich, ähnlich wie in Hamburg, die Veranstalter betont zerknischt.
Wir aber glauben kein Wort. Der Regen ist Programm, und die Programmacher sollten endlich dazu stehen. Bringt doch immerhin neues Leben in den öden Tenniszirkus, ganz abgesehen von den phantastischen Absatz-Chancen der Ausrüstungsindustrie: vollgummierte Bälle, Spikes, Neoprenanzüge..
Also, Hamburg und Wimbledon: Wir fordern sofortige Spielunterbrechung beim geringsten Zeichen von Sonnenschein. Sollte der Wasserstand auf dem Platz unter fünf Zentimeter absinken, hat der Platzwart unverzüglich mit dem Gartenschlauch nachzuhelfen. Sinn macht die Einrichtung einer Sprinkleranlage, bei zuviel Sonne muß der Platz überdacht und künstlich bewässert werden. Die Berieselungspausen werden per Computer nach dem Zufallsprinzip ermittelt. Und wie ein stilvoller Schluß aussieht, hat Hamburg vorgemacht: Die Siegerehrung fand im strömenden Regen statt, während in Berlin der Beginn des Damen- Turniers verschoben werden mußte. Wegen Regens. miß
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