PREDIGTKRITIK: Tauchkurs
■ Der Sommer in der Sankt-Hedwigs-Kathedrale
Es ist Ferienzeit und draußen teuflisch heiß, jedes Schwimmbad besser besucht als die Sonntagsmesse. Aber man muß den Dreh nur finden, und so beginnt der Priester seine Predigt mit einem Exkurs über Christen im Wasser: Taufen kommt von Tauchen, und früher baute man noch Taufkirchen, auch Baptisterien genannt, in denen die Taufbecken so groß waren, daß selbst Erwachsene darin mühelos untertauchen konnten. In der Reihe vor mir sitzt ein älteres Ehepaar, und ich stelle mir gerade vor, wie sie sich wohl hielten, müßten sie jetzt vortreten, nicht zur Kommunion, sondern um ins kühle Taufbecken zu springen. Zumal sich in der kreisrunden Hedwigs-Kathedrale in der Mitte eine ebenso kreisrunde Vertiefung befindet, die sich mühelos in einen spirituellen Pool verwandeln ließe. Der Pfarrer säße dann als Bademeister in Soutane und mit der Trillerpfeife im Mund am Beckenrand, immer auf dem Sprung, sollte eins seiner Schäfchen untergehen. Doch die Wirklichkeit holt mich zurück: Der Priester verkündet keinesfalls die Badeordnung, sondern erläutert im eigentlichen den tieferen Sinn der Taufe: Der alte Mensch mit seinen ganzen Schwächen und Fehlern taucht ein, und er taucht wieder auf als der neue Mensch, der nun die selbstlose Nachfolge Christi antritt. Zumindest antreten sollte, denn so ganz ist dieser alte Mensch mit einem kurzen Bad nicht wegzukriegen, noch immer wird er von der Sünde heimgesucht.
Jesus zu folgen sei so einfach nicht, sagt der Priester und hat dafür Belege im Evangelium nach Lukas, in dem exemplarisch von drei Personen erzählt wird, die Jesus folgen wollen: »Wohin du auch gehst«, sagt der eine, aber Jesus erkennt sofort seine Nebenabsichten und bescheidet ihn, materielle Sicherheiten seien bei ihm nicht zu erwarten. Der nächste will noch seinen Vater begraben, aber das sollten ruhig die Toten selber erledigen, erwidert ihm Jesus. Der dritte will noch seiner Familie adieu sagen, auch das empfindet Jesus als überflüssig, denn Jesus ist strenger als das Alte Testament, wo der Prophet noch sagte: »Na gut, aber komm wieder.«
Bei so viel Radikalität ist auch dem Priester nicht ganz wohl, denn was wäre, würde ein jeder einfach alles liegen- und stehenlassen, nur weil er glaubt, er müsse auf der Stelle Gott folgen? — Aber wer tut das auch schon? — Über die Beispiele könne man sich streiten, so der Priester, das Entscheidende sei, daß wir nicht immer »Ja, gleich« und »Ja, aber« sagen sollen und damit die Konsequenz aus dem Glauben vor uns herschieben: Große Worte, aber nichts dahinter. Man könne es gar nicht besser beschreiben als in einem Gedicht, das er in der katholischen Kirchenzeitung dieser Woche aus Seite 21 gefunden habe. Es geht darin um einen Liebesbrief, in dem mit blumigen Worten von glühender Lava die Sehnsucht beschrieben wird, und am Schluß heißt es: »Ich muß jetzt leider schließen. Bis Samstag im Park, wenn es nicht regnet.« Dieser Schluß mache alles kaputt, so der Priester, und in diesem Sinne bis zum nächsten Sonntag.
Wenn nicht wieder die Sonne scheint, denn dann gehe ich ins Schwimmbad, natürlich nicht ohne die katholische Kirchenzeitung, die eine wahre Fundgrube der modernen Lyrik sein muß. Lutz Ehrlich
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