PREDIGTKRITIK: Kein Deus ex machina
■ Katholische Messe in der St.Hedwigs-Kathedrale
Die schwebende Jungfrau ist eine klassische Jahrmarktsnummer, die entschwebende Jungfrau dagegen ein klassisches Dogma der katholischen Kirche, Mariä Himmelfahrt in katholischen Ländern sogar noch ein gesetzlicher Feiertag. Und wie man sich immer wieder gefragt hat, mit welchem Trick der Magier das weibliche Wesen in die schwebende Horizontale bekommt, so hinterfragen immer mehr Menschen auch den Marien- Mythos der katholischen Kirche. Ihr besonderes Augenmerk richtet sich dabei auf die unbefleckte Empfängnis, aber eine Fahrt zum Himmel mutet ebenso ungelöst-rätselhaft an, zumindest den theologischen Laien. Der Fachmann in Gestalt des Geistlichen macht den Gläubigen die unglaubliche Reise der Maria als Zeichen auf Christus schmackhaft, womit das Rätsel schon geklärt ist, denn wer Wasser zu Wein macht, Kranke heilt und selber von den Toten aufersteht, kann auch seine Mutter auf den Abenteuertrip schicken.
Vom »Wie« geht's deshalb schnell zum »Warum«: »Was ist das Leben, was ist der Tod?« fragt der Geistliche rhetorisch, um eine Antwort zu geben, der jeder mit einem leichten Kopfnicken beipflichtet: »Das Leben endet mit dem Tod.« Warum dann überhaupt leben, wenn man doch sterben muß? Diese existentialistische Frage hat sich jeder schon mal gestellt, befriedigend beantworten kann sie nur der für sich, der an das ewige Leben und die Auferstehung glaubt: erst Jesus, dann Maria, dann wir alle, wenn wir den Glauben annehmen, den Gott uns anbietet, wir uns der Erfüllung Gottes hingeben. Dann bekommt nicht nur der Tod, sondern auch das Leben einen Sinn. »Sinn und Ziel des Lebens sind kein Leistungssport«, sagt der Geistliche, »sie werden uns von Gott geschenkt.« Wenn mit der Biologie die letzten Fragen und Zweifel erklärt werden könnten, dann wäre ja alles ganz einfach. Bloß sei es ja nicht so, daß wir uns das Leben selber geben, wir erhalten es von Gott, weshalb der Mensch durch alle Jahrhunderte nach Zeichen für seine Unsterblichkeit gesucht habe. Heute allerdings glaube jeder, er könne gerade tun, was ihm individuell passe, der nächste denkt genauso, und schon knallt's, siehe den Krieg im ehemaligen Jugoslawien. Hatte es dieses Zeichens überhaupt noch bedurft? — Der Blick in die eigene Vergangenheit — das »gnadenlose Leben« im Sozialismus — hätte auch gereicht, hat den Krieg trotzdem nicht verhindert. Aber das sagt der Geistliche nicht. Dafür weiß er, wie so etwas ausgeht: »Wer nur seine eigene Herrlichkeit sucht, der wird vor einem Trümmerhaufen landen.« Und angesichts der unvorstellbaren Greueltaten in der Welt muß man sich doch nicht noch darüber streiten, wie nun Maria genau in den Himmel gelangt ist. Jedenfalls handele es sich dabei nicht um einen theologischen »Deus ex machina« mit viel Rauch und Tamtam, sondern um eine schlichte wie wahre leibliche Aufnahme, und damit basta.
Derartig im Glauben gestärkt, kommt einem das Gauklerfest Unter den Linden nur noch wie kalter Kaffee vor. Lutz Ehrlich
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