PREDIGTKRITIK: Möglichst fröhlich
■ Römer 8 in der Andreas-Markus-Gemeinde
Christen haben es wirklich gut. Sie lassen sich vom Geist Gottes treiben und müssen für ihr göttliches Heil nicht einmal arbeiten, denn das »will erbeten sein«. Hin und wieder ein paar Worte zum Himmlischen Vater, nicht zweifeln, sondern schön fest vertrauen. Die alte Bibel und die alte Verheißung werden nicht auffliegen. Schließlich ist christlicher Glaube nicht der Sozialismus: Wie beruhigend diese Predigt doch beginnt.
Eine Taufe am Anfang des Gottesdienstes macht, daß die Welt der Andreas-Markus-Gemeinde in Ordnung ist. Pastor Hans-Peter Schneider hat die Getaufte, eine junge Frau, mit einem langen Bibelspruch und einem Zitat von Luise Rinser bedacht und so viel Wasser in ihren Locken geträufelt, daß es auf den Teppich tropft. Dann baut er am Spannungsbogen seiner Predigt und verteilt zu diesem Zwecke zunächst ein paar Streicheleinheiten für geschundene Christenseelen. Als schere er sich nicht um Fleisch, Geist und was sonst noch bei Paulus im Predigttext steht, verkündet der Pastor, was die Gemeinde gerade gesungen hat: »Befiehl du deine Wege und was dein Herze kränkt der allerhöchsten Pflege« — Merksatz zum Mitnehmen.
Der liebe Gott steht fest, wenn alle Ideologien fallen. Das aber gilt nur, wenn aus dem Christentum nicht unterderhand auch eine Ideologie wird: Hans-Peter Schneider beginnt am Gewissen seiner Schäfchen zu kratzen, wenn auch ganz behutsam, wie es sich für einen guten Hirten gehört. Erst erzählt er von der Freiheit der Christen, ihrer Unabhängigkeit von Systemen und streift damit geschickt den Predigttext — »denn ihr habt nicht einen knechtischen Geist empfangen«, schreibt Paulus an die Römer. Mit solch einem Geist versehen, sollen die lieben Christen nun handeln.
Der Konziliare Prozeß ist eine jener geistgetriebenen Handlungen. Nur ist seine beste Zeit vorbei. »Frieden, Gerechtigkeit, Bewahrung der Schöpfung«, die Schwerpunkte jenes Prozesses, den Christen in Gang setzen woll(t)en, schwirrten in den achziger Jahren ganz besonders durch Kirchen der DDR und stellten eine Verbindung zum Rest der Welt her. Gerechtigkeit klang schön in den Ohren von Ostdeutschen, denn sie waren unterdrückt und außerdem benachteiligt gegenüber ihren westlichen Brüdern und Schwestern. »Nun gibt es den Ost-West-Konflikt nicht mehr, und der Konziliare Prozeß ist zu Ende?« Wenn ein Pastor schon so fragt, muß die Antwort natürlich „nein“ heißen. Schneider wechselt vom Osten in den Süden zu Hungertoten und Armutsflüchtlingen und polemisiert ein bißchen gegen die Reichen im Norden, zu denen jetzt auch seine Gemeinde gehört: Gerechtigkeit und Frieden wollen sie und immer »offen sein für alle. Und dann machen sie die Tür zu.« Jetzt ist die Sonntagsruhe endgültig vorbei, der Spannungsbogen des Pfarrers hat seinen Höhepunkt erreicht, das große Mahnen beginnt. Christen müssen auftreten gegen die herrschende Meinung der Mehrheit, wenn schon Politiker nicht den Mut haben, etwas dagegen zu tun.
Schneiders Predigt ist nicht gerade klassisch: wenig Textbezug, ein bißchen abstrakt; kaum merklich, daß Römer 8 seinen Ausführungen zugrunde liegt. Dafür untermalen dezente Gesten die Ermahnungen. »Gegen den Trend leben« empfiehlt Hans-Peter Schneider. Und das möglichst fröhlich. Frederike Freier
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