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PRÄSIDENTENWAHL IN POLEN: DIE ZEIT VON SOLIDARNOŚĆ IST VORBEIPolnischer Pragmatismus

Die Polen haben Grund, stolz auf sich zu sein. Die Präsidentschaftswahlen haben gezeigt, dass die Demokratie in Polen nur zehn Jahre nach der Wende bereits tiefe Wurzeln geschlagen hat und – das dürfte die Polen selbst am meisten erstaunen – wie westlich sie bereits denken.

Der alte Präsident ist auch der neue. Aleksander Kwaśniewski hat bereits im ersten Wahlgang über 50 Prozent der Stimmen auf sich vereinigen können. Zwar wurde er seit Monaten als der große Favorit unter den Kandiadaten gehandelt, doch eine Videoaufnahme mit einem drei Jahre zurückliegenden Scherz auf Kosten des Papstes hatte ihn viele Sympathien gekostet. Marian Krzaklewski, der Vorsitzende der Gewerkschaft Solidarność und der gleichnamigen Partei (AWS), hatte mit ihr die politische Schlammschlacht eröffnet. Der Forderung „Der Präsident Polens muss ein Präsident von Katholiken sein“ schloss sich auch die katholische Kirche Polens an. Trotz der Erfahrung, dass ihre Wahlempfehlung in den letzten Jahren immer zur Niederlage des betreffenden Kandidaten geführt hatte, empfahl sie den Gläubigen doch wieder: „Kwaśniewski nicht“. Auch von der Wahl des unabhängigen Wirtschaftsfachmannes Andrzej Olchowski riet sie ab. Der Liberal-Konservative, der im alten System dem Geheimdienst zugearbeitet hatte, dies heute offen zugibt und sich davon distanziert, gilt der Kirche nach wie vor als ein „Roter“.

Für genau diese beiden Kandidaten haben über 70 Prozent der Wähler gestimmt. Dies bedeutet für die einst so mächtige katholische Kirche den endgültigen Abschied von der Politik. Die „katholische Karte“ sticht in Polen nicht mehr.

Die Wahl zeigt zudem, dass die Polen viel klüger und besonnener sind, als dies die Kandidaten der Rechten offensichtlich angenommen haben. Kein einziger Kandidat, der sich für eine nationalistische, antisemitische, antideutsche oder antieuropäische Poltik ausgesprochen hatte, errang mehr als 1,5 Prozent. Unter diesen Kandidaten ist auch Lech Wałęsa, der Gründer der freien Gewerkschaft Solidarność und erste demokratisch gewählte Präsident Polens. Er hatte es sich mit seinem Slogan „Schwarz ist schwarz und weiß ist weiß“ zu einfach gemacht. Doch die Polen wollen keine Schlachten schlagen für einen Krieg, der längst vorbei ist. Die Spaltung der Gesellschaft in Schwarz und Weiß, in kommunistisches Establishment und Solidarność gibt es nicht mehr.

Das muss nun auch Marian Krzaklewski erkennen, der dritte große Verlierer dieser Wahlen. Seine Schmutzkampagne gegen Kwaśniewski hat diesen zwar einige Sympathien gekostet, die Stimmen allerdings kamen nicht dem empörten Moralisten zu, der den drei Jahre zurückliegenden Fauxpas des Präsidenten jetzt im Wahlkampf ausschlachten wollte, sondern Olechowski, der einen betont ruhigen und positiven Wahlkampf führte.

Was heute für die Polen zählt, ist der Erfolg. Kwaśniewski ist es gelungen, die Wähler davon zu überzeugen, dass er ein guter Präsident Polens ist – trotz gelegentlicher Ausrutscher. Krzaklewski hingegen steht im Ruf, hinter den Kulissen die Strippen der Regierungspolitik zu zeihen, ohne aber bereit zu sein, als Ministerpräsident dafür auch die Verantwortung zu tragen. Die Quittung hat er nun bekommen: Der dritte Platz für Krzaklewski ist ein klares Misstrauensvotum für die von der AWS geführte Minderheitsregierung. Der Partei muss klar sein, dass mit Krzaklewski an der Spitze die Parlamentswahlen im nächsten Jahr nicht zu gewinnen sind. Der Koalitionsbruch mit der Freiheitsunion (UW) im Mai dieses Jahres hat der AWS das Kainsmal einer Partei kompromissunfähiger Starrköpfe aufgebrannt. Mit einer solchen Partei an der Regierung hat Polen in der EU keine Chance.

Der große Wahlerfolg Kwaśniewskis ist aber gerade auch ein Votum für die Integration in die EU. Der AWS steht nun also entweder ein Führungswechsel bevor oder die nächste Niederlage in den bevorstehenden Parlamentswahlen. Dann nämlich wird der Beitritt Polens zur EU die Schlüsselfrage sein. Dann wird auf den Tisch kommen, wie gut oder schlecht die bisherige AWS-Regierung Polen auf den Beitritt zur EU vorbereitet hat. Die Zeit des Kräfte zehrenden Ideologiestreites ist vorbei. In Polen ist Pragmatismus angesagt. Man will der Welt nicht mehr zeigen, dass man anders ist, besser, katholischer oder was auch immer. Die Zukunftsvision der Polen ist eine andere. Es ist der Wunsch nach Normalität. GABRIELE LESSER

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