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Archiv-Artikel

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Nicht länger ein Kavaliersdelikt: In Rom steht Marion True wegen des Ankaufs gestohlener Antiken vor Gericht. Die Kuratorin des Getty Museums in Los Angeles könnte für schuldig befunden werden

von PETER BÖHM

Wie eine Festung ist das J.-Paul-Getty-Zentrum auf eine Bergkuppe gebaut. Wenn sich hier im Westen von Los Angeles der morgendliche Nebel lichtet, hat man einen spektakulären Blick auf den Pazifik und die Anwesen im Stadtteil Brentwood an den subtropisch grünen Hängen rundherum, von denen keines weniger als mehrere Millionen US-Dollar wert ist. Das Getty hat eine eigene Ausfahrt an der vierspurigen Stadtautobahn tief unten im Tal und eine mehrstöckige Tiefgarage. Nach oben auf die Spitze fährt ein eigener kleiner Zug, halb Berg-, halb S-Bahn. Der Eintritt ins Museum ist frei, aber ein Parkplatz in der Tiefgarage kostet sieben Dollar.

Das Getty ist in jeder Hinsicht ein Komplex der Superlative. Die vom Stararchitekten Richard Meier entworfene Anlage umfasst Verwaltungsgebäude, Restaurierungswerkstätten und ein kunsthistorisches Advanced Studies Center mit einer 800.000-Bände-Bibliothek. Als sie nach 13-jähriger Bauzeit 1997 fertig gestellt wurde, lagen die Kosten bei einer Milliarde Dollar. Das Zentrum beherbergt zudem die Ausstellungsräume des reichsten Kunstmuseums der Welt – getragen von der Getty-Stiftung, deren geschätztes Vermögen sich im Augenblick in der Region von fünf Milliarden US-Dollar bewegt.

Allerdings wird das Getty Museum inzwischen auch für den von vielen Experten so genannten größten Kunstskandal der Nachkriegszeit verantwortlich gemacht. In Rom beginnt heute, am 16. November, die Hauptverhandlung gegen die ehemalige Kuratorin des Museums für antike Kunst, Marion True. Mit mehreren Kunsthändlern, die an das Getty verkauft haben, ist sie wegen der Mittäterschaft beim Handel mit geraubter Kunst angeklagt. Drei umstrittene antike Stücke hat das Museum im vergangenen Jahr schon an Italien zurückgeben müssen. Und interne, von der Los Angeles Times inzwischen veröffentlichte Dokumente zeigen: Stiftung und Museumsverwaltung waren sich schon lange darüber im Klaren, dass viele der von ihnen erworbenen Stücke von geheimen Fundstätten in Italien und Griechenland geplündert und außer Landes geschmuggelt worden sein mussten.

Für die italienischen Behörden ist der Prozess ein Präzedenzfall. „Der Fall Getty ist deshalb so wichtig, weil er ein Meilenstein in der Verfolgung von Raubkunst darstellt und die Verhältnisse in der Kunstwelt völlig umkrempeln wird“, sagt Anna Maria Reggiani, Direktorin des Instituts für Archäologie beim italienischen Kultusministerium. Italien verlangt vom Getty die Rückgabe von zweiundvierzig antiken Objekten, und auch Griechenland hat einen offiziellen Antrag auf die Rückgabe von vier Stücken gestellt. Eine interne Untersuchung des Getty kommt sogar zu dem Ergebnis, dass True und ihr Vorgänger über achtzig Objekte von Händlern erworben haben, gegen die inzwischen ermittelt wird. Vierundfünfzig davon gehören zu den knapp über hundert Stücken, die das Museum selbst zu einzigartigen Meisterwerken erklärt hat.

Wie verschrien True bei den Behörden der beiden Mittelmeerländer schon Mitte der Neunzigerjahre war, zeigt vor allem der Fall einer Bronzebüste, die Schmuggler aus dem Ionischen Meer geborgen hatten. Die griechischen Behörden verfolgten sie über Monate, waren aber im Mai 1998 gezwungen, die Büste schnell zu beschlagnahmen, weil sie erfahren hatten, dass True nach Deutschland geflogen war, um sie zu kaufen. Im Fall eines goldenen Haarkranzes und eines Grabsteines aus dem 4. Jahrhundert v. Ch. sagen die griechischen Behörden, hätten sie das Getty vor dem Erwerb gewarnt, beide Stücke seien mit höchster Wahrscheinlichkeit illegal ausgegraben worden.

Auch die Indizien dafür, was die Getty-Stiftung über die Umstände des Ankaufes vieler ihrer antiken Ausstellungsstücke wusste, sprechen eine deutliche Sprache. Der Beginn der Ermittlungen gegen Marion True geht auf eine Razzia im Jahr 1995 in der Lagerhalle des italienischen Kunsthändlers Giacomo Medici in Genf zurück. Medici wurde im vergangenen Jahr wegen des Handels geplünderter Kunst zu zehn Jahren Gefängnis verurteilt. Er hat Berufung eingelegt. In seiner Lagerhalle fanden die internationalen Ermittler 4.000 antike Stücke: Scherben von Vasen, die noch nicht zusammengesetzt waren, und dreckverkrustete Statuen. Außerdem lagerten dort Ordner mit Polaroid-Bildern von Fundstücken, die Medici schon verkauft hatte. Zweiundvierzig von ihnen – viele offenbar gerade erst ausgegraben – zeigten Stücke, die das Getty erworben hat.

In Briefen und E-Mails an Marion True verwiesen die inzwischen angeklagten Händler wie selbstverständlich auf illegale Ausgrabungsstellen, und in einem internen Memorandum von 1987 schrieb der damalige Vorsitzende der Getty-Stiftung Harold Williams über eine Transaktion mit einem der aktivsten Händler, Robin Symes: „Wir wissen, dass es gestohlen ist. Er ist ein Hehler.“

Das Getty kann sich auch nicht darauf zurückziehen, dass die rechtliche Lage für den internationalen Kunsthandel nicht eindeutig war. Seit einem Unesco-Abkommen von 1970 haben fast alle Regierung weltweit den gesetzlichen Rahmen geschaffen, der „Import, Export oder Handel von Kunstgütern ohne die Genehmigung des Ursprungslandes“ unter Strafe stellt. Seitdem hat sich in der Kunstwelt die Maxime durchgesetzt, die True selbst im Jahr 2000 in einer Rede vor Museumsdirektoren formuliert hat: „Die Erfahrung hat mich gelehrt: Wenn ernsthafte Anstrengungen fehlschlagen, die Herkunft eines Ausstellungsstückes festzustellen, ist es sehr wahrscheinlich – wenn nicht sicher –, dass es aus dem illegalen Handel stammt, und wir müssen die Verantwortung dafür übernehmen.“

Dass das Getty systematisch geplünderte Kunst erworben hat, will auch Professor Steven Thomas nicht bestreiten. Er ist Experte für internationalen Kunsthandel an der Universität von Kalifornien in Los Angeles. Er verteidigt die Praxis jedoch, denn das Getty sei nicht das einzige Museum gewesen, das umstrittene Stücke eingekauft hat: „Viele Museen machten das.“ Für die Gründe verweist er auf die späte Gründung des Getty. Während die großen Museen in Europa den Großteil ihrer Sammlungen vor oder während der Kolonialzeit zusammengetragen haben, stammen die Anfänge des Museums in Los Angeles aus der Privatsammlung J. Paul Gettys. Er hat sein Vermögen in der Ölförderung in den USA und Saudi-Arabien gemacht und galt in den Siebzigerjahren als reichster Mann der Welt. Seit den Fünfzigerjahren sammelte er Kunst, wobei er allerdings nur mediokres Niveau erreichte. Nach seinem Tod im Jahr 1976 überließ er seine Sammlung und den Großteil seines Geldes der Getty-Stiftung in Los Angeles. Die saß nun auf einem riesigen Vermögen, aber wenig herausragender Kunst. Um die Sammlung aufzuwerten, war die Getty-Stiftung auf Ankäufe auf dem engen Markt privater Sammlungen angewiesen oder eben auf den Schwarzmarkt.

Die Eröffnung des Getty-Zentrum 1997, des „schönsten Museum der Welt“, wie es in Los Angeles gerne genannt wird, sollte das Image der Stadt zu einem Kunstzentrum mit Weltgeltung machen und sie vom Makel des seelenlosen Glamour und der kulturellen Öde befreien. Deshalb nennt David Rodes, Exdirektor des Instituts für Bildende Künste an der Universität von Kalifornien (UCLA), die Anklage gegen True eine „kulturelle Tragödie für Los Angeles“. Dies mag auch die Reaktion des Getty erklären, nachdem in diesem Jahr die Ermittlungen gegen seine Kuratorin bekannt wurden.

Die Stiftung hat das Museum in Brentwood für alle Journalisten geschlossen, ihre Fragen werden nur mit der stereotypen Wiederholung beantwortet, die Mitarbeiter hätten sich nichts zuschulden kommen lassen. Für diese bemerkenswerte Arbeit wurde der PR-Berater Michael Sitrick, den Forbes einmal „die Kanone, wenn du im Kreuzfeuer bist“, genannt hatte, zu Höchstsätzen angeheuert. MarionTrue gab ihre Stelle als Kuratorin schon im Oktober auf. Angeblich, weil sie einen Kredit von 400.000 Dollar für den Kauf eines Ferienhauses in Griechenland aufgenommen hatte – durch die Vermittlung eines Kunsthändlers, der ertragreiche Geschäfte mit der Stiftung tätigte. Diese wusste freilich von Trues Verstoß gegen die Richtlinien des Hauses, die dies untersagten, schon seit Jahren.

Nicht-Journalisten können das Museum natürlich jederzeit besuchen. In sechs zweistöckigen Gebäuden zeigt es alles von antiken Skulpturen über Möbel, Manuskripte und Gemälde (bis 1900) bis zu zeitgenössischer Fotografie. Der Löwenanteil der antiken Stücke wird jedoch in J. Paul Gettys ehemaliger Villa im Stadtteil Malibu aufbewahrt. Sie ist die exakte Nachbildung eines Stadthauses in Herculaneum, das beim Ausbruch des Vesuvs im Jahr 79 A.D. unter Lava und Asche begraben wurde. Getty hat sie in den Siebzigerjahren als Museum für seine antike Sammlung bauen lassen. Nach der Eröffnung des Museums in Brentwood wurde sie geschlossen und wird nun nach einer 275 Millionen Dollar teueren Renovierung am 27. Januar wieder eröffnet. Insgesamt 44.000 Stücke aus der griechischen, etruskischen und römischen Periode sind dort untergebracht, von denen 1.200 ausgestellt werden. Die spannendste Frage wird jedoch sein: Wie viele davon gehören zu den umstrittenen Stücken?