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PORTRÄT„Warum ein schlechtes Gewissen?“

■ Bernd Otto, Ex-Vorstandsvorsitzender der Coop AG, ist sich keiner Schuld bewußt

140 Banken hat er an der Nase herumgeführt und die verschuldeten Konsum-Genossenschaften ab 1974 zum fünftgrößten Handelsriesen der alten Bundesrepublik aufgebläht. Dieses Gebilde verstrickte er in einem undurchschaubaren Dschungel von über 300 Firmen und vertuschte mit frisierten Bilanzen den größten Wirtschaftsskandal der Nachkriegszeit. Wie kein anderer verstand es Bernd Otto (51), der ehemalige Vorstandsvorsitzende der Coop AG, sämtliche Gläubiger und die Öffentlichkeit jahrelang zum Narren zu halten. Selbst als das Verwirrspiel nach Berichten des 'Spiegel‘ im Herbst 1988 nach und nach aufflog, reagierte Otto cool wie ein Profi: Er jettete erst einmal nach Südafrika, um dort Großwild zu jagen. Die nicht gerade angenehme Aufgabe, von einer Krisensitzung zur nächsten zu eilen, überließ er seinen Vorstandskollegen.

Umtriebig, strebsam und verbissen hatte sich der Hüne aus dem Wuppertaler Arbeitermilieu zu einem der bestbezahltesten Manager der Republik hochgearbeitet. Nach Volkshochschule und Färberlehre holte er 1959 bis 1962 mit einem Gewerkschaftsstipendium sein Abitur nach; machte 1966 seinen Diplom-Volkswirt, promovierte 1970 und arbeitete von 1966 bis 1974 hauptamtlich im DGB-Bundesvorstand. Dort stieg er schnell vom Sachbearbeiter zum Bundesvorstandssekretär auf, bevor er zum Abteilungsleiter bei DGB-Chef Heinz Oskar Vetter avancierte. Von Anfang an bestimmte der selbstbewußte Arbeitervertreter die Geschicke des aus der Gewerkschaftsbewegung hervorgegangenen Handelskonzerns mit. Als DGB-Sekretär wurde er 1974 in den Vorstand der neu gegründeten Coop-Aktiengesellschaft geschickt; sechs Jahre später saß er im Chefsessel.

Die Gewerkschaften haben den aufstrebenden Färbergesellen stets protegiert. Seine Bilderbuch-Karriere ist geradezu typisch für jene Riege von Gewerkschaftsbonzen, die mit protzigem Reichtum ihre Kinderstube abzustreifen versuchten. Wie viele Manager, die ihr Berufsleben auf der Tellerwäscher- Ebene beginnen mußten, verlor Otto schließlich die Bodenhaftung: Ohne Geld in der Kasse landete er einen Coup nach dem anderen, kaufte reihenweise andere Ketten auf und pumpte alle erreichbaren Gläubigerbanken an — und machte die Erfahrung, daß es klappte. Nadelstreifen, dicke Schlitten, schmucke Villen, exklusive Reisen — auf Kosten der Coop konnte Otto bald ein luxuriöses Leben führen. Doch bei allem Hang zum Lebemann ließ sich die proletarische Herkunft nie ganz abstreifen. Herrschsüchtig und rüde schottete er sein Wissen ab. Anmaßend setzte er sich über Bedenken hinweg. Kommandierend brachte er seine Seilschaft auf Linie. Den letzten Schachzug, die Plünderung der Pensionskasse, heckte Otto bei einem konspirativen Vorstands-Treff im Partykeller aus.

Während die Kleinaktionäre um ihre Anlagen bangten und sie schließlich verloren, entzog sich Otto einstweilen dem Zugriff des Staatsanwalts und sonnte sich wieder mal in Kapstadt. Nach der Verhaftung seiner Vorstandskollegen kehrte er dann aber freiwillig aus dem sicheren Südafrika zurück; mußte er doch fürchten, seine Spießgesellen würden alle Schuld auf ihn abschieben. Seine 22monatige U-Haft habe er zur zwangsweisen Einkehr genutzt, sagt Otto heute. Die gegen ihn erhobene Anklage weist er immer noch entschieden zurück. Schon in Südafrika hatte er gefragt: „Warum sollte ich ein schlechtes Gewissen haben?“ Erwin Single

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