PORTRAIT: Keine Unabhängigkeit „um jeden Preis“
■ Jugoslawiens neuer Staatspräsident, ehemals Wortführer des „Kroatischen Frühlings“ von 1971, Stipe Mesic, ist für den friedlichen Übergang zu einem lockeren Staatenbund
Erstmals hat jetzt auch Jugoslawien einen nichtkommunistischen Staatspräsidenten. Und wie in den anderen Staaten Ostmitteleuropas ist es auch hier ein Mann, der in der Vergangenheit als politischer Häftling im Gefängnis saß. 1935 im kroatischen Slawonien geboren, trat Stipe Mesic bereits als junger Jurist der KP bei, wurde Bürgermeister in seinem Heimatort und später Parlamentsabgeordneter in Zagreb. Im sogenannten „Kroatischen Frühling“ 1971 war Mesic einer der Wortführer für mehr Unabhängigkeit Kroatiens vom jugoslawischen Zentralstaat. Tito ließ damals Panzer in Zagreb auffahren. Aber anders als dieser Tage in Slowenien kam es nicht zu bewaffneten Auseinandersetzungen zwischen der Zentralgewalt und den Rebellen. Tito brachte die rebellische kroatische KP schnell wieder auf Linie; Mesic aber mußte erst einmal 26 Monate wegen „nationalistischer Rebellion“ hinter Gittern.
Im Gefängnis lernte er Franjo Tudjman kennen, den heutigen Präsidenten Kroatiens, der ebenfalls wegen politischer Agitation eingesperrt war. Spötter bezeichneten Mesic lange Zeit als Tudjmans „Kronprinz“, als dessen rechte Hand. In der Periode der großen politischen Wende Osteuropas wurde Tudjmans „Kroatische Demokratische Gemeinschaft“ stärkste Partei im ersten Mehrparteienparlament Kroatiens seit Kriegsende. Tudjman gab an Mesic den Parteivorsitz ab, um Präsident werden zu können.
Unter den Mitgliedern der Zagreber Führung gilt Mesic als gemäßigter und kompromißbereiter Politiker. Mesic forderte nie eine kroatische Unabhängigkeit um jeden Preis — wie manche seiner Parteifreunde. Sein Standpunkt — den manche kroatische aber auch slowenische Nationalisten ihm übelnehmen: „Solange der Bundesstaat Jugoslawien existiert und an seine Stelle nicht ein neues staatliches Gebilde tritt — und zwar mittels friedlicher Verhandlungen —, müssen alle Bundesinstitutionen beachtet werden und funktionsfähig bleiben.“ Als seine private Meinung fügte er stets hinzu, er glaube, die Zukunft Jugoslawiens liege nicht in einem Bundesstaat, sondern in einem losen Staatenbund.
Diese Auffassung — im heutigen Kroatien und Slowenien eine gemäßigte Position — stieß im sogenannten „serbischen Block“ der Zentrale in Belgrad auf so großen Widerstand, daß Mesic, obwohl verfassungsmäßig dazu bestimmt, bereits seit sechs Wochen das Amt als Staatspräsident nicht ausführen konnte. Da nutzte dem Juristen auch nicht seine Beteuerung, bestehende Gesetze seien für ihn da, um sie zu exekutieren. Er würde immer nur nach den jetzigen Bundesgesetzen handeln, obwohl seine Perspektive nicht die bestehende Föderation, sondern die lockere Konföderation sei. Nur per Bundesgesetz könne es einen geordneten Übergang zum Staatenbund geben.
Vor zwei Wochen erläuterte Mesic seine Wünsche gegenüber einer jugoslawischen Zeitung: „Ich wünsche mir, daß man sich an mich erinnern wird als jemanden, der eine Übereinkunft über die Zukunft Jugoslawiens zustande gebracht hat, und zwar während die Armee in den Kasernen geblieben ist.“ Die Armee ist aber zur Zeit auf der Straße, und man fragt sich in Jugoslawien: Ist Staatschef Mesic in seiner Funktion als Oberbefehlshaber der Armee der Mann, auf den die Generalität hören wird? Roland Hofwiler
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