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PORTRAITAushängeschild mit Wasserpflanzen

Brasiliens Umweltsekretär Lutzenberger hat sein Ansehen im Land verloren  ■ Von Astrid Prange

Rio de Janeiro (taz) — Die Schonzeit ist vorbei. José Lutzenberger, seit eineinhalb Jahren Umweltsekretär Brasiliens, genießt nur noch im Ausland Anerkennung. In Brasilien selbst hat der Träger des alternativen Nobelpreises von 1988 seinen Ruf längst verspielt.

„Die Umweltpolitik Brasiliens ist gleich null“, sagt Joao Capobianco, Vorsitzender von „SOS Mata Atlantica“, einer der größten Umweltschutzorganisationen Brasiliens. Capobianco steht mit seiner Kritik nicht allein. Auch für den Abgeordneten Fabio Feldman, im brasilianischen Parlament mit seinen Initiativen zugunsten der Umwelt allein auf weiter Flur, ist von seinem Freund „Lutz“ „enorm enttäuscht“. „Ich verteidige Lutzenberger aus taktischen Gründen. Sein Nachfolger könnte noch schlimmer sein“, erklärt der Politiker.

Am schlimmsten, so die Kritiker, sei das völlige Fehlen eines politischen Umweltkonzepts. Sogar die Assessoren Lutzenbergers räumen eine gewisse Planlosigkeit ein: „Es gibt keine Gesundheitspolitik, keine Wohnungsbaupolitik, keine Wirtschaftspolitik, wie soll es da eine Umweltpolitik geben? Dies hier ist ein totales Durcheinander“, stöhnt Sebastiao Pinheiro, der Lutzenberger sehr nahe steht. Das Hauptverdienst Lutzenbergers, so Pinheiro, bestünde darin, sich den wirtschaftlichen und militärischen Interessen entgegenzustellen und den Raubbau am Amazonas zumindest zu bremsen.

Wenigstens einen Pluspunkt kann der 65jährige Umweltsekretär verzeichnen: Im Streit mit dem brasilianischen Militär über die Abgrenzung des Indianer-Reservats der Yanomami behielt er die Oberhand: Am 15.November erklärte Präsident Collor die 94.000 Quadratkilometer im äußersten Norden Brasiliens schließlich zum Gebiet der letzten rund 8.000 isoliert lebenden Indianer. Tito Rosemberg, Pressesprecher der offiziellen Indianerschutzorganisation Funai, ist einer der wenigen, die Lutzenberger noch uneingeschränkt bewundern: „Lutzenberger flüstert Präsident Collor ins Ohr, er steht unter seinem Einfluß“, erklärt er die aktuelle Umweltpolitik. Rosemberg versichert, daß Lutzenberger seinen Radikalismus nicht aufgegeben habe.

Einmal abgesehen von diesem Erfolg, sieht die Bilanz heute eher vernichtend aus: Die Brandrodungen und Abholzungen im Amazonasgebiet haben wieder zugenommen, nach wie vor werden Sägewerke und Bergbauunternehmen subventioniert, wegen des Goldrauschs sind viele Flüsse im Amazonas mit Quecksilber verseucht, und die Industrie verschmutzt mangels Kontrolle und rechtlicher Auflagen weiterhin die Umwelt.

Zweifellos beruht das Versagen Lutzenbergers als Umweltpolitiker nicht auf mangelnder Qualifikation. Dem Agrarexperten jedoch sind politische Zweckbündnisse oder die Verwaltungsbürokratie in der Umweltbehörde höchst zuwider. Seit seinem Wechsel auf die Regierungsseite hat er nun mit den „Technokraten“ täglich zu tun. „SOS Mata Atlantica“-Chef Capobianco: „Lutzenberger ist der richtige Mann am falschen Platz. Wenn er nicht gerade Präsident Collor auf seinen Auslandsreisen begleitet, zieht Lutzenberger sich in sein Haus im Nationalpark von Brasilia zurück, wo er im Swimmingpool Wasserpflanzen züchtet.“ Nach Ansicht des Umweltexperten Ronaldo Brasiliense, Korrespondent der Zeitung 'Jornal do Brasil‘ in Telém, ist die Bürokratie das größte Hindernis bei der praktischen Umsetzung von Umweltpolitik. So halte zum Beispiel die Weltbank schon seit geraumer Zeit einen Kredit von 117 Millionen Dollar für Umweltprojekte bereit. Die Konterpartie der brasilianischen Regierung, 35 Millionen Dollar, sei bis jetzt jedoch noch nicht bewilligt worden. Der Grund: Die Zentralbank fürchtet, daß durch den massiven Zufluß von Devisen die Inflation im Land angeheizt werden könnte. „Wenn sich das Verhältnis zwischen Wirtschaftsministerium und Umweltsekretariat nicht ändert, sehe ich schwarz“, meint Brasiliense.

Auch von den seit 1988 insgesamt 250 Millionen Mark Entwicklungshilfe aus der Bundesrepublik, darunter Selbsthilfeprojekte, Elektrifizierung ländlicher Gegenden sowie der Ausbau von Kanalisation, hat die brasilianische Regierung bis jetzt noch nicht Gebrauch gemacht. Bundeskanzler Kohl blieb bei seinem Besuch im Oktober in Brasilien nichts anderes übrig, als die insgesamt elf Abkommen zusammenzufassen und erneut zu unterzeichnen. Während seines Ausfluges in den Regenwald ging Lutzenberger vor dem mächtigen Kanzler in die Knie und überreichte ihm eine Handvoll Erde, um ihm zu beweisen, wie weit die Humusschicht im Amazonas bereits abgetragen sei.

Doch die verständnislose Reaktion Kohls ließ Lutzenberger wieder einmal daran zweifeln, ob überhaupt ein echtes Interesse an Umweltschutz in der Welt existiert. Lutzenberger, der immer wieder betont, er sei kein Politiker, hat seine Rolle als Aushängeschild der Regierung Collor langsam satt: Spätestens nach der Umweltschutzkonferenz (UNCED) im Juni 1992, so wird vermutet, räumt er seinen Stuhl.

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