PORTRAIT: In Schwerin regiert jetzt der Tierarzt
■ Der neue Ministerpräsident von Mecklenburg-Vorpommern heißt Berndt Seite/ Ein „Erneuerer“ in der Ost-CDU
Berlin (taz) — Berndt Seite (CDU), der am Donnerstag zum neuen Ministerpräsidenten von Mecklenburg-Vorpommern gewählt werden soll, hat sich genausowenig nach dem Job im Schweriner Schloß gedrängt wie sein Vorgänger Alfred Gomolka im Herbst 1990. Die zerstrittene CDU braucht einen integren Mann — Frauen befinden sich offensichtlich außerhalb des Blickfelds der Ostsee-Patriarchen. Der Landesvorsitzende Günther Krause rief, und Berndt Seite kam. Aus „Pflichtbewußtsein“, wie der engagierte Protestant bekundet.
Berndt Seite ist Tierarzt und lebt mit seiner Frau und zwei Kindern im Kreis Röbel. 1990 wurde er zum Landrat des 16.000-Einwohner-Kreises mitten in Mecklenburg-Vorpommern gewählt, wo er mit einer breiten Koalition aus CDU, SPD, FDP und Neuem Forum regierte und schon einmal seine integrativen Fähigkeiten unter Beweis stellte. SED-Altlasten servierte Seite ab. Wie der sächsische Innenminister Heinz Eggert, der als „Pfarrer Gnadenlos“ im Zittauer Landratsamt aufräumte, machte sich auch Seite in Röbel einen guten Namen, indem er alle SED-Dezernenten und Alt- Amtsleiter absetzte. Nach seiner Wahl zum Generalsekretär der Ostsee-CDU im Okober 1991 wechselte er auch in der CDU-Geschäftsstelle einen Großteil der alten MitarbeiterInnen aus.
Der 51jährige Seite ist kirchlich engagiert und war seit 17 Jahren Mitglied der Evangelisch-Lutherischen Landessynode in Mecklenburg. Im Oktober 1989 war er zur Stelle, rief mit dem heutigen SPD-Landtagsabgeordneten Gottfried Timm zu Demonstrationen auf und gehörte zu den Mitbegründern des Neuen Forums in Röbel. Weil sich aber die Bürgerbewegung der Regierungsverantwortung nicht stellen wollte — Stichwort „Pflichtbewußtsein“ — verließ Seite das Neue Forum, konnte sich auch mit der SPD wegen des nach seiner Meinung dort noch im Übermaß vorhandenen „sozialistischen Gedankengutes“ nicht anfreunden und trat im Februar 1990 in die CDU ein. In CDU-Kreisen hat er den Ruf eines Erneuerers. Daß der zurückhaltende Seite außer im Kreis Röbel in Mecklenburg-Vorpommern und offensichtlich auch im Bonner Kanzleramt ein Unbekannter ist, dürfte sich schnell ändern.
Der neue Ministerpräsident hatte schon einmal ein Präsidentenamt inne: das des Verbands der Tierärzte in der DDR, den Seite im Wende-Herbst mitgründete. Die Rolle seines Berufstandes in der DDR will er als Mitautor eines Buches aufarbeiten, das Anfang 1994 erscheinen soll. Seine Rolle als neuer Landesvater beschrieb Seite in der Nacht zum Montag so: „Wer anders als ein Tierarzt sollte die wirtschaftliche Roßkur in diesem Lande schon bewältigen?“ Bettina Markmeyer
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