PETER UNFRIEDNEUE ÖKOS : Der Chicken-McNuggets-Vortrag
Penelope ist elf und verschwindet gern mal allein übers Wochenende. Soll sie. Seit ihrer legendären Küchenrede zur Lage von Tierhaltung und Klimawandel habe ich da keinerlei Bedenken
Penelope streckte den Kopf zum Arbeitszimmer rein und wedelte mit den Händen. Ich hatte aber grade ein Telefongespräch zur Weltlage und scheuchte sie weg. Später durchsuchte ich die Wohnung, fand aber nur noch einen Zettel auf dem Küchentisch. „Bin Wochenende weg. Kannst mich Sonntag, 12 Uhr, bei Caro abholen. An der Pinnwand steht ihre Adresse. Liebe, Penelope.“
Offenbar ist das bei elfjährigen Mädchen inzwischen so üblich. Wusste ich zwar nicht, aber das muss nichts heißen: Ich kannte früher keine Elfjährigen. In einem Anfall von Aktionismus wollte ich sie anrufen, aber ihr Mobiltelefon war ausgeschaltet. Ich schrieb mir dann die Adresse von der Pinnwand ab und holte sie zwei Tage später dort ab.
„Und, hattest du ein schönes Wochenende?“
Sie gähnte. Ich nahm es als gutes Zeichen, brachte sie nach Hause ins Bett und weckte sie erst am nächsten Tag wieder, so dass es zur zweiten Schulstunde reichte.
Nun kann ich nicht ausschließen, dass das eine oder andere Muttertier dies nicht als lässige Vaterschaft lobpreisen wird. Was soll ich sagen? Sie kommt mir einfach sehr reif vor, seit sie diesen Chicken-McNuggets-Vortrag hielt.
Adorno und ich saßen an diesem Tag in der Küche und diskutierten ein Thema, das uns sehr am Herzen liegt – die berufliche Zukunft des Fußballers Edin Dzeko. Penelope kam rein und begann von Chicken McNuggets zu sprechen. Das sind frittierte Stücke aus Industriefleisch, Panade und Stabilisatoren. Gibt es bei McDonald’s. Sie wurden speziell bei Kindern populär, weil sie knochenlos sind, putzig daherkommen und nicht nach Fleisch schmecken.
Penelope redete sich richtig in Rage. Dass manche der Nuggets-Hühner zu Lebzeiten kaum laufen könnten, weil ihnen so große Brüste wachsen würden. Dass sie in ihrem kurzen Leben ständig Schmerzen hätten. Dass sie in elektrisch aufgeladenem Wasser betäubt würden. Wenn sie Glück hätten. Wenn nicht, würde ihnen die Kehle unbetäubt durchgeschnitten. Wenn sie Glück hätten. Wenn nicht, fielen sie lebendig in kochendes Wasser.
Adorno und ich sahen uns an. So kannten wir sie gar nicht. „Wie kommst du da jetzt drauf?“
Es stellte sich heraus: Alle ihre Freundinnen schwärmen offenbar von Chicken McNuggets. Sie reden ständig davon, wie gern sie die essen. Wie toll die schmecken. Penelope kann sich da nur noch an den Kopf fassen.
„Hältst du denen dann auch diesen Vortrag?“ Nein. Das sei nicht mehr erwünscht. Jedenfalls seien Chicken McNuggets widerlich und brächten schlimme Dinge mit sich, von der Tierhaltung über die Ernährung bis hin zum Klimawandel. Damit leitete sie über zu den generellen Auswirkungen von Fleisch auf das Klima.
Adorno ist zeit seines neunjährigen Lebens Vegetarier. Aber ich sah an seinem Gesicht, dass es ihm langsam zu viel wurde. „Dann mach doch was dagegen“, sagte er mit Konfrontationsstimmlage.
Sie stutzte und sagte: „Was soll ich denn machen?“
Und er: „Ja, mach doch was.“
Und sie: „Was soll ich als Elfjährige da machen?“
Und er: „Mach was, Penelope. Red nicht nur.“
Kurze Stille. Dann sagte sie mit Lehrerinnenstimme: „Es ist wichtig, dass man diese Dinge überhaupt erst mal weiß, Adorno.“
Und da sagte er: „Blöde Kuh“.
Und ich dachte: Super. Dieses Mädchen kannst du unbesorgt allein in die Welt ziehen lassen. Was immer sie tut: Zu McDonald’s geht sie auf keinen Fall.
■ Der Autor ist taz-Chefreporter. Foto: Anja Weber