PETER UNFRIED über CHARTS : Der Fußballkapitalismus hat verloren
Kapitalismuskritik heute: der Sonntag in Kreuzberg, der Triumph von Mainz 05, der Fehler bei Koch-Mehrin
Aufgeschreckt von einem apokalyptischen Lärm schauten die Menschen hoch zum Himmel über Berlin-Kreuzberg. Und siehe: Riesige Heuschrecken flogen heran. Mit brummigem Getöse kreisten sie Sonntagmittag über den Cafés. Bei genauerem Hinsehen waren es keine Heuschrecken, sondern Hubschrauber, die der Staat losgeschickt hatte.
Da murrte die Frühstücksbagage: 1. Verdammter Münte. Was hat er uns bloß für einen Floh ins Ohr gesetzt? 2. Verdammte Hacke aber auch! Es war mal wieder so weit: 1. Mai. Auf dem Spielplan stand: die kritische Auseinandersetzung mit der kapitalistischen Gesellschaft durch symbolische Anwendung von Gewalt.
Damit wir uns richtig verstehen: Ich bin ein Enkel von 1968. Und habe überhaupt nichts gegen symbolische Gewalt. Jedenfalls solange sie berechtigt ist. Und nichts kaputt gemacht wird, was mir gehört. Z. B. mein Auto. Oder was ich noch brauche. Z. B. Kreuzberg. Außerdem mag ich es nicht, wenn Polizeihubschrauber über mir kreisen. Weil: Wir sind doch hier nicht in Amerika. Aber warum macht man es nicht wie beim Eurovision Song Contest? Der Sieger darf die Show im nächsten Jahr bei sich ausrichten. Das würde einigen Krawalltouris zu denken geben.
Übrigens stießen speziell die ganzen Heuschrecken = böse Kapitalisten-Weiterdreh-Klugscheißertextchen der Wochenendfeuilletons in meinem Café auf erhebliche Kritik. Letztlich eine Verhöhnung. Hieß es. Generell aber deckt sich der Tenor mit der Ansicht des Präsidenten des Arbeitgeberverbands Gesamtmetall: Niemand erwartet einen neu auflebenden Klassenkampf.
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Ich weiß nicht, ob es Franz Müntefering weiß, aber der Kapitalismusglaube hat am vergangenen Wochenende ja dann doch einen kleinen, aber feinen Dämpfer erhalten. Das 6:2 des FSV Mainz 05 in Bochum bedeutet den (fast) sicheren Verbleib des Aufsteigers in der Fußball-Bundesliga. Das ist eine richtig große Leistung für ein Team und ein Unternehmen, das nach den am Saisonbeginn noch geltenden Maßstäben des Fußballkapitalismus so chancenlos hätte sein müssen wie wenige Aufsteiger zuvor. Kleinster Etat der Liga, kleinster Fußballstammbaum weit und breit, Profis, deren Namen bis heute selbst Fußballinteressierten kaum geläufig sind – und dennoch hat man weit mehr als das von Trainer Jürgen Klopp versprochene „geile Jahr“ abgeliefert.
Das liegt nicht daran, dass Mainz keine Chance hatte und sie nutzte. Es liegt daran, dass Mainz eine Chance hatte und sie nutzte. Nutzen wir das Momentum des Augenblicks und sagen mal ganz rational: Der Ligaverbleib von Mainz ist nichts weniger als der Triumph des Konzepts, der alternativen Unternehmenskultur und der richtigen Mitarbeiterführung. Eine Sensation, die wir in Deutschland nicht mehr erwartet hätten: Da haben Leute ganz offensichtlich nicht ins Blockieren, ins Hadern und ins Bewahren eigener Vorteile investiert, sondern die ganze Energie ist in das Erreichen eines gemeinsamen Ziels geflossen.
Klopp hat es im „ZDF-Sportstudio“ gesagt: „Wenn man an einem Tag den besseren Plan dabei hat, kann man jeden schlagen.“ Er hat den Plan geliefert, aber er hat halt auch Kollegen geführt, die willens und fähig waren, diesen Plan auszuführen.
Nun allerdings wird Mainz wie auch schon Bielefeld die Dynamik marktwirtschaftlicher Ordnungen erfahren. Das sind die Manager größerer Unternehmen, die mit dem Geldkoffer anreisen. Man weiß gar nicht recht, ob sie sich mehr freuen, weil sie dort mit exzellentem Preis-Leistungs-Verhältnis shoppen oder weil sie hoffen, mit dem Wegkauf einiger Profis die Gegenmodelle beerdigen zu können.
Sie sollten sich nicht zu früh freuen: Der Witz am Konzeptfußball besteht ja darin, dass es den Starfußballer nicht braucht – sondern ihn bestenfalls möglich macht.
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Neoliberalismus hin oder her: Silvana Koch-Mehrin ist in der Bild-Liste der schönsten Deutschen eindeutig zu niedrig eingestuft. Bitte korrigieren.
Fragen zu Mainz? kolumne@taz.de Morgen: Bernhard Pötter über KINDER