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Archiv-Artikel

PETER UNFRIED NEUE ÖKOS Ausschalten ohne Ausrasten

DARF MAN AN DIE SCHEIBE KLOPFEN, WENN JEMAND UNNÖTIG DEN MOTOR SEINES WAGENS LAUFEN LÄSST? UND WENN JA: WIE TRÄGT MAN SEIN ANLIEGEN VOR?

Ich kenne eine Neue Öko, die kommt an keinem Auto mit laufendem Motor mehr vorbei, ohne den Fahrer zu bitten, das Ding auszuschalten. Gerade kommt sie nach Hause und sieht richtig glücklich aus. „Was’n los, Süße, hat etwa jemand seinen Motor ausgeschaltet?“ „Nein“, sagt sie aufgekratzt, „aber stell dir vor: Ich wurde heute nicht zusammengeschrien.“

Diesmal war es ein Mercedes, der vor einer Schule stand – mit laufendem Motor. Ein Fluchtwagen? Klopf, klopf. Die Scheibe fuhr runter. Nein, er warte auf seine Tochter, sagte der Fahrer, sie komme jeden Moment, da lohne es sich nicht, den Motor auszuschalten.

Das sagen sie immer. Zumindest die, die wir die „zunächst Höflichen“ nennen. Die anderen schreien einfach: „Fick disch, du Schlampe!“ Ich selbst habe noch nie an ein Autofenster geklopft, und ich kann mich bis heute nicht dazu durchringen. Die Frage ist: Übertreibt sie, oder bin ich ein Versager?

Überlegen wir mal zusammen: Was ist so schlimm, wenn jemand den Motor laufen lässt? Klar: Der CO2-Ausstoß. Andererseits sagte unlängst die grüne Spitzenkandidatin Renate Künast zu mir bei einer Diskussion mit dem schönen Titel „Ökologie und Freiheit“: Warum auf die kleinen Fahrer losgehen, wenn die Wirtschaft ihre Umweltkosten externalisiert, also CO2 raushaut auf Kosten der Gesellschaft und der Umwelt? Stimmt.

Trotzdem können wir eine Gesellschaft anstreben, in der zumindest ein Minimum an Ökofaktor verbreitet ist.

Aber ist nicht genau das altlinker Ökototalitarismus? Und stellen nicht Neue Ökos qua Definition keine Ansprüche an andere, sondern stellen erst mal ihren eigenen Motor ab?

Ich fragte meinen 68er-Psychologen, ob ich an die Fenster klopfen sollte. Er riet ab. Es gebe ein enormes Potenzial an Aggressivität in der Gesellschaft. Das Auto sei optimal, um sie rauszulassen. Das sehe man an den brutalen Reaktionen der Motor-an-Rumsteher, sagte ich.

Er lächelte. Ja, aber das Auto diene auch passiv Aggressiven als Vehikel, die ein „moralisch einwandfreies Ventil“ suchten. Er wette mit mir, dass 80 Prozent der Fensterklopfer das nicht aus sachlichen Gründen täten. Gerade auch Kontaktgestörte nutzten gern solche Situationen aus.

Ach. Verstehe, du Arsch: Wir sind aggressiv und kontaktgestört. „Wenn man seine Sache aus einer Position der Überlegenheit zelebriert, erklärt man den anderen immer zu einer dummen Sau“, sagte mein 68er-Psychologe. Man müsse den richtigen Stil finden und auf Augenhöhe darum bitten, dass er den Motor ausschaltet. Das klingt gut. Aber gibt es diese Form?

Bei den „zunächst Höflichen“ macht die Neue Öko immer eine Nachakquise, indem sie darauf hinweist, dass sich das Ausschalten bereits ab zehn Sekunden lohne. Der Mercedesfahrer erklärte daraufhin, er müsse den Motor wegen der Klimaanlage laufen lassen. Er sorge sich um seine Tochter, sie würde sonst schwitzen. Die Neue Öko entgegnete: Wenn er sich wirklich um seine Tochter sorge, müsse er an die Zukunft des Planeten denken und den Motor ausmachen.

Diese Form war wohl nicht optimal. Der Mercedesfahrer ließ die Scheibe hoch. Der Motor blieb selbstverständlich an.

■ Der Autor ist stellvertretender Chefredakteur der taz Foto: Anja Weber