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Archiv-Artikel

PETER UNFRIED NEUE ÖKOS Menschen in Mauskostümen

Adorno will nach Disneyland, in die materialistische Quatschbude. Ich sei doch auch da gewesen, sagt er. Stimmt. Aber wann versteht der Junge endlich sein Glück, nicht in den Neunzigern zu leben?

Penelope schaute so angewidert auf ihre Bratkartoffeln, dass ich den Teller wegzog und die 200 Speckwürfel rauspickte.

„So“, sagte ich, „jetzt ist es vollvegetarisch.“

Sie lächelte höflich. Wir hatten uns zum Mittag im üblichen Restaurant verabredet. Weil ich sie seit 12 Jahren kenne, wusste ich, dass sie mit diesen Kartoffeln nicht mehr glücklich wurde.

Da stand plötzlich Adorno am Tisch. „Was machst du um diese Zeit schon in der Kneipe“, fragte ich streng. „Sport ausgefallen“, brummte er und blickte mit einem Er-oder-ich-Vegetarierblick auf meinen Rostbraten.

Dann setzte er sich doch. Offenbar war was.

Er, äh, plane ja im Sommer einen Besuch in Disneyland, Los Angeles, habe nun aber gehört, dass ich das ablehnte. Wie ich dazu komme.

„No offense“, sagte ich, „aber Disneyland bringt’s nicht.“

„Aha“, sagte Adorno knapp.

Penelope und ich zuckten zusammen. Jeder weiß, dass es gefährlich wird, wenn er „aha“ sagt.

Ich sagte vorsichtig: „Themenparks mit Menschen in Mauskostümen – da bist du mit zehn doch drüber hinaus.“

„Aber du warst doch auch in Disneyland.“

Äh, ja. Aber das war in den Neunzigern. „Weißt du, im zwanzigsten Jahrhundert dachte man, hingehen sei eine ironische Kritik und gehöre zu einem schwierigen Leben.“

Er schaute mich an wie einen Vollidioten. Ob es wegen dem Flug sei.

War es nicht. Es gibt da jetzt diesen 50-Prozent-Vertrag mit meinem Ökobruder. Wir wollen unser Dekarbonisierungswachstum in den Bereichen Mobilität, Wärme und Strom um 50 Prozent verbessern. Ich weiß, dass der Altöko jetzt vor Empörung röchelt, aber: Nur alle zwei Jahre nach Kalifornien fliegen, ist 50 Prozent besser als vorher.

„Du bist im Jahr 2000 geboren, Adorno“, sagte ich, „wir müssen ein neues Lebensglücksmodell des 21. Jahrhunderts finden – mit echten Werten.“ Jetzt war es eh schon egal.

„Aha“, sagte er bebend. „Du meinst wohl Strandspaziergänge, Fahrradtouren und blöde Goethe-Filme anschauen?“

Tatsächlich hatten wir das letztes Mal gemacht, auf einer Nordseeinsel. Das trug er uns seither nach.

So was werde er jetzt zwanzig Jahre lang nicht mehr mitmachen. Er sei sicher, in Disneyland sein Lebensglück zu finden. Vor allem in der Achterbahn.

Ich weiß genau, wie es kommt: Adorno wird Allianzen schmieden und nerven, bis wir in dieser materialistischen Quatschkitschbude landen.

Zur Strafe lasse ich ihn dann in Las Vegas auf dem Zimmer.

Der Autor ist taz-Chefreporter Foto: Anja Weber