PETER UNFRIED NEUE ÖKOS : Esst jetzt die verdammte Gurke!
Klimabotschafter wollen die Kinder werden. Aber keine guten, schweineteuren Biogurken essen. Was soll das?
Wir sitzen in der Küche, und liebevoll wie stets habe ich Penne mit Joghurt und Gurken zubereitet. Dazu reiche ich Bioapfelsaft mit Leitungswasser. Die Kinder mümmeln die Nudeln. Den Gurkenteller ignorieren sie.
„Äh, was ist mit der guten Biogurke?“, frage ich. „Wir haben dir doch verboten, Biogurken zu kaufen“, rufen sie. „Menno“, sage ich, „das ist eine Superbiogurke, die hat mich 1,69 Euro gekostet.“
Preise interessieren sie grundsätzlich nicht. „Biogurken schmecken einfach ranzig“, sagt Penelope sachlich. „Total abgeranzt“, knurrt Adorno.
Ranzig ist eindeutig das Wort der Saison, abgeranzt kommt gleich dahinter. Alles ist ranzig oder abgeranzt, vor allem Biogurken, wobei ich immer noch nicht sagen kann, was der qualitative Unterschied ist.
„Kein Unterschied, ranzig ist alles, was uns nicht gefällt“, sagt Penelope. „Und abgeranzt?“ – „Abgeranzt heißt eben abgeranzt, verstehst du?“
Ne, verstehe ich nicht.
Ich verstehe auch nicht, weshalb die sich im Gegensatz zu mir supermodern und ohne Fleisch ernähren, Freunde zu Vegetariern machen, demnächst Klimabotschafter werden wollen, aber die gute Biogurke nicht essen.
Ich verstehe des Weiteren nicht, weshalb ich immer noch in den Bioladen renne und eine Supergurke für knapp zwei Euro kaufe, wenn sie sich jedes Mal als ranzig und abgeranzt herausstellt. Vor allem verstehe ich nicht, wie es überhaupt dazu kommen konnte, dass ich fast vier Mark für eine Gurke bezahle, die ich hinterher wegschmeißen muss. Vier Mark! So viel kostete doch früher ein Abend in der Pizzeria. Zu zweit.
Jetzt schreien die auch noch nach einer „Nicht-Bio-Gurke“. Und ich muss mir von einem Zehnjährigen sagen lassen, dass er mir doch schon hundertmal gesagt habe, dass ich die Gurken gefälligst bei Netto kaufen solle.
„Du willst doch sonst immer das Teuerste, Adorno, du bist doch kein Typ für eine 39-Cent-Gurke.“ Er denkt nach. „Tja“, sagt er dann, „wirklich blöd, dass die Biogurke für 1,69 Euro so ranzig schmeckt und die für 39 Cent so gut.“ Er tut so, als bekümmerte ihn das wirklich.
„Esst jetzt die verdammte Gurke“, schreie ich, „oder es kracht.“ Penelope murmelt etwas von einem Lehrer, der heute leider auch wieder ausgeflippt sei, statt auf die Sorgen und Nöte der ihm schutzbefohlenen Kinder einzugehen. Und Adorno blickt mich an und kräht: „Aus Spaß wurde Ernst.“
Während ich verzweifelt nach den Gurkenscheiben greife, sagt Penelope: „Nein, Adorno, das passt nicht. In dem Witz ist Ernst doch ein Junge.“
„Wie Junge?“
„Verstehst du nicht? Aus Spaß beim Sex wird ein Kind namens Ernst.“
„Ah“, sagt Adorno, „der heißt Ernst!“
„Nach all den Jahren hast du es auch kapiert.“
„Schon wieder ein Fickwitz“, brummt Adorno. Dann gehen sie in ihre Zimmer.
Es ist bitter. Fast so bitter wie diese Biogurke.
■ Der Autor ist taz-Chefreporter Foto: Anja Weber