: PER reinigt 300 Mio Kleider jährlich
■ Keine Alternative in Sicht / taz-Montags-Serie zum alläglichen Sondermüll (II)
„Waschen ist keine Alternative“ sagt Klaus Kreikemeier, Mitarbeiter des bundesweit einzigen Unternehmens, das Sondermüll aus chemischen Textilreinigungen recycelt. Und die Verbraucherzentrale gibt ihm dabei recht: Denn Wasser bzw. Waschlauge läßt Fasern quellen, die Kleidung verliert ihre Paßform. 90 % der immer aufwendiger verzierten Textilien tragen das Pflegeetikett „P“ — Reinigen mit Per (Perchlorethylen, chemisch: Tetrachlorethen). Rund 300 Millionen Kleidungsstücke werden in der BRD Jahr für Jahr in Per gereinigt — mit einem höchst aggressiven Lösungsmittel, das die metallverarbeitende Industrie in weitaus größeren Mengen als Reinigungen zum Entfetten einsetzt.
Per kam 1987 in die Diskussion: als ein leicht flüchtiger Stoff, der durch sämtliche Mauern und auch durch die intakte Haut des Menschen diffundiert. Per reichert sich besonders in fetthaltigen Lebensmitteln an. Seine toxikologische Wirkung ist unbestritten: Per wirkt betäubend, reizt Augen und Schleimhäute, verursacht Kopfschmerzen, Leber- und Nierenschäden, schädigt das Erbgut. An Tieren wurde seine krebserzeugende Wirkung nachgewiesen. Die Berufsgenossenschaft der Textilreiniger beteuert jedoch: „Von 1975-87 wurden von den staatlichen Gewerbeärzten keine Krebserkrankungen durch Per festgestellt.“
Trotzdem lösten die Diskussionen fieberhafte Messungen bei Gesundheits- und Gewerbeaufsichtsämtern aus: von Luft und Lebensmitteln in Reinigungen, in angrenzenden Lebensmittelläden und Wohnungen, aber auch Untersuchungen von Blut und Atemluft der MitarbeiterInnen von Reinigungsbetrieben.
Im Ergebnis wurden überall Per-Werte festgestellt, in Lebensmitteln dabei meist doppelt so hoch wie in der Luft. Zum Zeitpunkt der Untersuchungen hatte das Bundesgesundheitsamt den Ämtern noch 0,1 Milligramm pro Kubikmeter als „Vorsorgewert“ und 1 mg/m3 als „Eingriffswert“ für angrenzende Wohnungen empfohlen. Nach 85 Messungen im Wohnumfeld von 34 Reinigungen in Bremen mußten daraufhin 3 Betriebe sofort schließen, nur 2 lagen unter 0,1 mg/m3, 12 unter 1,0 mg/m3, alle anderen wesentlich darüber.
Doch schon wenige Monate später hatte sich die Rechtsauffassung geändert, die Behörden durften nur noch einschreiten, wenn ein „Wochenmittelwert von 5 mg/m3“ überschritten wurde: Nur Problemfälle wurden weiter überwacht. In Hamburg bildete sich eine Initiative von Per-Geschädigten, die als Nachbarn von Reinigungen in langwierigen Prozessen schließlich vor knapp vier Wochen 20 % Mietminderung wegen Per in ihren Wohnungen durchsetzen konnten.
Nicht zuletzt ihnen ist es auch zu verdanken, daß der Bundesrat am kommenden Freitag mit der Novellierung der 2. BundesImmissionsSchutz-Verordnung erstmals Grenzwerte für an Reinigungen angrenzende Wohnungen festlegen wird: Bis 1994 als Übergangsvorschrift 1 mg/m3, danach 0,1 mg/m3 Raumluft. Gleichzeitig wird den Reinigungen vorgeschlagen, ihre Räume mit „Diffusions-Sperren“ (z.B. Aluminiumfolien) abzusichern. Lebensmittel, die 1 Milligramm Per pro Liter oder Kilogramm enthalten, werden aus dem Verkehr gezogen (Olivenölskandal, Käsebrötchenverbot an Tankstellen). Eine Minimierung dieses Wertes ist beabsichtigt.
Unabhängig davon gilt unverändert der alte MAK-Wert (maximale Arbeitsplatz-Konzentration) weiter: 345 mg/m3. „Die Umweltschutzbewegung setzt sich in den Betrieben längst nicht so fort wie in der kritischer gewordenen Öffentlichkeit“, klagt Karlo Sattler vom Hauptvorstand der Gewerkschaft Textil und Bekleidung.
Bewegung in der Branche
Die Textilreiniger haben sich unterdessen den Problemen gestellt: Die meisten haben in ihre Anlagen und in die Qualifizierung ihres Personals investiert. Die sogenannten „offenen Systeme“, bei denen die Abluft über Aktivkohleanlagen gereinigt und ins Freie geleitet werden, sind vielfach durch Maschinen mit „geschlossenen Kreisläufen“ ersetzt worden, die diesen Filter-Prozeß in ihr Innenleben integriert haben. Doch Jürgen Jahn, zuständiger Dipl. Ing. beim Gewerbeaufsichtsamt in Bremen, warnt: „Auch in Reinigungen mit geschlossenen Anlagen kommt es zu erheblichen Immissionen.“
Einige Reinigungen hatten nach der Prüfaktion ihre Anlagen von Per auf FCKW umgestellt. Doch auch FCKW dringt genau wie Per durch sämtliche Wände. Auch FCKW ist in angrenzenden Lebensmittelläden im Fett nachgewiesen worden. Doch liegen bei dem umweltschädlichen Ozonkiller FCKW für den Gesundheitsschutz noch keine Erkenntnisse vor. Und da FCKW ab 1995 verboten sein wird, hat die Wäschereiforschung diese Anlagen nicht weiter ergründet.
In sämtlichen Reinigungsmaschinen fällt jedoch noch ein anderer Problemstoff an: das mit dem jeweiligen Lösemittel durchsetzte „Kontaktwasser“. Als engagierte Bremer Textilreiniger zusammen mit der Handwerkskammer die KollegInnen der rund 90 Chemisch-Reinigungen 1988 in Bremen an einen Tisch gebracht hatten, stellten sie fest: Viele wußten gar nicht, daß es für das Kontaktwasser spezielle luftdichte Sammelfässer gibt. Etliche kippten die Lösung ins Klo.
Mittlerweile haben die weitaus meisten Betriebe Filteranlagen angeschafft, die das Kontaktwasser von Per oder FCKW befreien und sauber dem Maschinen- Kreislauf oder der Kanalisation zuführen. In Bremerhaven betreiben die Textilreiniger von 15 Läden gemeinsam eine Aufbereitungsanlage, die im Stripverfahren 1.500 Liter Kontaktwasser pro Stunde reinigen könnte. Investitionskosten: 30.000 Mark.
Die Bremer KollegInnen ließen sich dazu jedoch nicht bewegen. Begeistern ließen sie sich auch nicht für eine zentrale Waschanlage auf der grünen Wiese. Einige wenige Reiniger kämpfen deshalb zur Verbesserung des Branchen-Image zunächst für eine Überwachungsgemeinschaft Textilreinigung nach Hamburger Vorbild. Sie soll nach TÜV-Vorbild die turnusmäßige Pflicht-Kontrolle der technischen Anlagen ihrer Mitglieder übernehmen. Die Gewerbeaufsicht kommt stichprobenartig oft nur alle fünf Jahre vorbei. Die Überwachungsgemeinschaft soll auch Personalschulungen durchführen. Birgitt Rambalski
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen