PARTEIEN IN EUROPA: WO GRÜN DRAUFSTEHT, SIND NATIONALISTEN DRIN : Notwendiger Etikettenschwindel
Der deutsche Wähler weiß: Wo CDU draufsteht, ist Konservatives drin. Die Sozialdemokraten sind zwar nicht mehr sozial – aber auch da weiß man, was man sich mit seiner Wahlentscheidung antut. So genannte Grüne und so genannte Liberale – siehe oben. Ganz anders sieht die Sache im Europaparlament aus.
Welchem Wähler ist schon bewusst, dass er mit seinem Kreuzchen bei Daniel Cohn-Bendit die schottischen Nationalisten und die schwedischen Antieuropäer unterstützt? Dass zu Angela Merkels Europäischer Volkspartei (EVP) auch Silvio Berlusconis Forza Italia gehört? Dass ein EVP-Wähler sich nicht nur Helmut Kohls europäisches Erbe, sondern auch die Daueropposition der britischen Tories gegen eine europäische Verfassung einhandelt? Das Dilemma ist kaum aufzulösen. Die Parteienlandschaft in Europa ist so bunt, dass sich daraus nur mühsam so genannte „politische Familien“ schmieden lassen, die die widerstreitenden Ziele unter einem Dach zusammenzwingen.
Mit der Erweiterung wird der Flickenteppich noch vielfältiger. Ob rechtsliberale Neue Ära in Lettland oder das linke „Bündnis für Menschenrechte im vereinten Lettland“, ob polnische Bauernpartei, Partei der ungarischen Minderheit in der Slowakei oder Demokratisches Linksbündnis des polnischen Regierungschefs Leszek Miller – die Parteienlandschaft in den jungen Demokratien ändert sich ständig und ist nur schwer in den klassischen parteipolitischen Schubladen des alten Europa unterzubringen.
Die Alternative wäre ein Europaparlament ohne Fraktionen. Das würde für den Wähler deutlich sichtbar machen, wie diffus die Strömungen in diesem Gremium tatsächlich sind. Den Prozess allerdings, aus dem republikanischen Debattierclub allmählich ein arbeitsfähiges politisches Organ zu machen, würde das um Jahrzehnte zurückwerfen.
Etikettenschwindel ist also der Preis, den Europas Wähler für mehr Demokratie bezahlen müssen. Dagegen hilft nur, sich nicht auf die Verpackung zu verlassen und den Inhalt genauer zu betrachten, bevor man seine Entscheidung trifft.
DANIELA WEINGÄRTNER