: P O R T R A I T Anmerkungen zu Helmut Qualtinger
■ Der österreichische Kabarettist, Schauspieler und Schriftsteller wird heute auf dem Wiener Zentralfriedhof beigesetzt
Von Georg Kreisler
Die unzeitgemäße Snobgazette, die sich Die Zeit nennt und Menschen wie Helmut Qualtinger kaum wahrnimmt, hat ihm, nach seinem Tod, durch eine Journalistin namens Sigrid Löffler, die offensichtlich Journalismus mit Bosheit verwechselt, ein übelriechendes Denkmal setzen lassen. Wie meistens bei solchen Anlässen, paart sich bei Frau Löffler das Böse mit dem Falschen: Sie schreibt, daß er durch Überschätzung ruiniert worden sei, daß ihn der Ruf, ein Genie zu sein, belastet habe, daß er flunkerte, daß er sich auf seine Aufsässigkeit einiges zugute hielt, daß er die Aura des genialischen Dilettanten nie ganz losgeworden sei, daß er von Wien nach Hamburg geflohen sei, daß ihm als Schriftsteller, „der er gerne gewesen wäre“, nicht allzu viel geglückt sei und so weiter ad nauseam. Weder Die Zeit noch Frau Löffler können eben mit einem Menschen etwas anfangen, den sie nie verstanden haben und daher glauben, verächtlich machen zu müssen. Im Gegensatz zu ihnen, war ich mit Helmut Qualtinger dreißig Jahre lang befreundet und kann attestieren, daß er in keiner Weise ruiniert war. Im Gegenteil: seine Karriere ging bis zum Schluß aufwärts. Um Überschätzer hat er sich nie gekümmert, von flunkern konnte bei ihm, der Zeit seines Lebens ein Wahrheitssucher war, keine Rede sein, aufsässig war er in diesem Sinn auch nicht, er floh auch nicht von Wien nach Hamburg, sondern arbeitete eine Zeitlang ganz normal in Hamburg, verliebte sich dort in die Schauspielerin Vera Borek, die damals in Hamburg engagiert war, und verbrachte dadurch viel Zeit dort, bis sie mit ihm nach Wien ging. Als Schriftsteller glückte ihm eine ganze Menge, seine Texte gibt es in vielen Büchern zu lesen, seine Stücke und Sketche wurden oft gespielt, und was in diesem Zusammenhang eine „Aura des genialischen Dilettanten“ bedeutet, weiß ich nicht, außer daß es gehässig ist, denn genialische Dilettanten gibt es ebensowenig wie dilettanti sche Genies. Helmut Qualtinger war neun Jahr alt, als die deutschen Truppen Österreich besetzten. Daß sein Vater damals ein strammer Nazi war, überschattete sein ganzes Leben, und seine Reaktion darauf war eine kompromißlose Ablehnung aller Gewohnheiten und Ideale, die nach Bürgerlichkeit rochen. Lange vor der Studentenrevolte der 60er Jahre hat er uns allen die anarchistischen Theorien dieser Zeit vorgelebt. Er wußte wirklich nie, ob er Geld verdiente oder wieviel er besaß, und hätten seine erste und seine zweite Frau nicht Wohnungen eingerichtet, wäre er wohl ohne feste Adresse geblieben, er fuhr kein Auto, kleidete sich immer, wie es ihm gerade einfiel, kurz, er lebte, als gäbe es die bürgerliche Gesellschaft nicht. Er tat das aber nie bewußt, er war einfach so. Er verachtete das Establishment nicht, er ignorierte es und handelte dabei völlig instinktiv und in gar keiner Weise feindselig. Um nur ein einziges Beispiel dieser Lebensauffassung zu nennen: In der Bildzeitung stand einmal, daß er immer betrunken sei, worauf Qualtinger gegen die Bildzeitung klagte, aber volltrunken zur Verhandlung kam. Er fand es nicht unehrenhaft, daß man ihn als Trinker bezeichnet hatte, er fand es unehrenhaft, daß man Trinker für unehrenhaft hielt. Er verstand nicht, daß Leute nicht immer das taten, was sie wollten. Im Fernsehen hieß es, daß er nur wenige Freunde hatte. Das stimmt, aber es lag daran, daß seine Feunde mit ihm nicht Schritt halten konnten, und ich nehme mich davon nicht aus. Keiner blieb so unberührt von kapitalistischen Selbstverständlichkeiten wie er. Während wir noch über ihn die Köpfe schüttelten, dämmerte uns langsam, daß er recht hatte. Er arbeitete zwar mit vielen Leuten zusammen, aber er blieb ein Einzelgänger und hielt auch jeden anderen für einen Einzelgänger. Als ich ihm einmal von einem antisemitischen Vorfall erzählte, der mir in der Steiermark zugestoßen war, ereiferte er sich nicht, sondern sagte trocken: „Was fahrst in die Steiermark?“ Bei einer Zusammenarbeit ging es ihm weniger um die Arbeit, als um den Versuch, die Zeit mit einem anderen Einzelgänger totzuschlagen. Alles Theoretische blieb ihm so fremd wie alles Humorlose. Er verließ sich lieber auf seinen Instinkt als auf Informationen. Jahrelang parodierte er das Burgtheater, ohne je drinnen gewesen zu sein. Er war zwar Schauspieler, aber er konnte sich auch auf der Bühne nicht selbst aufgeben. Er schlüpfte nicht in die Rolle eines anderen, sondern imitierte den Betreffenden. Das Publikum fühlte und schätzte das. Man kam nicht, um den Dorfrichter Adam zu sehen, sondern den Qualtinger. Leute, die von ihm enttäuscht waren, sprachen dann so lange über ihre Enttäuschung, bis man merkte, wie sehr er sie beeindruckt hatte. Man kann ihm und seiner Hinterlassenschaft nicht in einem kurzen Aufsatz gerecht werden. Fest steht, daß er unersetzlich ist und daß er uns noch lange beschäftigen wird. Georg Kreisler ist Kabarettist und Satiriker. Er stammt selbst aus Wien und lebt jetzt in Berlin. FORTSETZUNGEN VON SEITE 1
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