: Ost-West-Kampf um Schlangen
■ Unmut bei den Beschäftigten des Tierparks Friedrichsfelde: Weltberühmte Schlangenfarm soll in den Westzoo verlegt werden / Stückchenweise Abwicklung?
Der Berliner Zoo und der Tierpark Friedrichsfelde sollen zusammenwachsen. Doch der Prozeß dahin ist steinig, und die Ostberliner Beschäftigten fürchten, daß diese Fusion zu ihren Lasten geht. Vor diesem Hintergrund muß wohl auch der jetzige Konflikt um die Schlangenfarm gesehen werden: Auf der letzten Sitzung Mitte September haben die Aufsichtsräte beider Tiergärten beschlossen, daß die Schlangenfarm von Friedrichsfelde in das Westberliner Aquarium verlegt wird. Zur großen Entrüstung der Tierpark-Mitarbeiter: „Die picken sich bei uns scheibchenweise die besten Rosinen heraus und machen uns damit kaputt“, ist einhelliger Tenor. Die Aufsichtsräte beteuern dagegen: „Die Schlangenfarm ist das einzige Opfer, ansonsten bleibt der Tierpark erhalten.“
Die Schlangenfarm in Tierpark Friedrichsfelde gilt unter Herbitologen als großer Schatz. Denn den Schlangenpflegern ist im Verlaufe vieler Jahrzehnte gelungen, Giftschlangen nachzuzüchten, darunter die schwarzgrüne Mamba, die rote Speikobra oder die Riesenschlange. Im weltberühmten Westberliner Aquarium dagegen nahm die Abteilung Giftschlangen bislang nur einen vergleichsweise kleinen Raum ein. Nach dem jüngsten Beschluß der Aufsichtsräte soll dies nun anders werden. Rund 1.000 Schlangen und einige Echsen sollen möglichst bis Weihnachten in den Westen umgesiedelt werden. Der ehemalige Direktor des Zoologischen Gartens, Heinz-Georg Klös, der Aufsichtsratsvorsitzender der Tierpark GmbH ist, begründete die Entscheidung gegenüber der taz so: Die geplante Fusionierung sei natürlich wie überall sonst auch mit Sparzwängen verbunden. Das Terrarium in Friedrichsfelde sei von der Bausubstanz her in so einem jämmerlichen Zustand, daß es noch höchstens sechs Jahre genutzt werden könne. Ein Neubau würde jedoch große Summen Geld verschlingen, das für andere Zwecke im Tierpark dringender gebraucht werde: zum Beispiel für ein neues Giraffenhaus oder die Seekuhanlage. Westberlin verfüge dagegen über ein „nagelneues“ Aquarium, in dem die Schlangen hervorragend untergebracht werden könnten. Nach Angaben von Klös ist die Entscheidung im Aufsichtsrat einstimmig gefaßt worden. Sie sei allen Beteiligten nicht leichtgefallen, weil man wisse, „wie schlimm dies für die betroffenen Tierwärter ist“. „Aber wir können nicht wegen so einer kleinen Abteilung den gesamten Tierpark gefährden“, sagte Klös. Mit dem Gerede, daß sei der Anfang vom Ende des Tierparks, müsse endlich Schluß sein: „Die Schlangenfarm muß geopfert werden, aber damit ist der Tierpark gerettet.“ Keiner der Schlangenpfleger werde wegen des Umzugs arbeitslos werden, versicherte der Aufsichtsratsvorsitzende.
Die Betriebsratsvorsitzende des Tierparks, Ursula Rahn, berichtete, daß dort inzwischen weit über 16.000 Unterschriften gegen die Verlegung der Schlangenfarm gesammelt wurden. Aus dem Westteil habe man gehört, daß es im Aquarium überhaupt keinen Platz und kein Fachpersonal für die Giftschlangen gebe. Trotzdem wolle der Aquariumsdirektor die Tiere unbedingt haben, weil seine Besucherzahl rückläufig sei: „Der Zoo holt sich die attraktivsten Tiere und läßt uns die Wildschweine und Hirsche. Dafür bezahle ich doch keinen Eintritt, sondern gehe in den Wald, da habe ich es kostenlos.“ Der Bereichsleiter des Terrariums, Klaus Dedekind, ist gleichfalls sicher, daß der Zoo „uns hier zerstören will“. Dedekind ist seit 32 Jahren im Tierpark Pfleger von Giftschlangen.
Insgesamt sind in dieser Abteilung sechs Leute beschäftigt, die meisten seit vielen Jahren. „Die Schlangen sind mein ein und alles“, sagte Dedekind, der kaum die Rührung in seiner Stimme verbergen kann. Für ihn ist die Entscheidung Ausdruck von „Konkurrenzdenken“, der Westen gönne dem Osten nichts Besonderes. „Warum“, so fragt sich der Chef der Schlangenfarm, „können wir dem Aquarium nicht unsere Nachzüchtungen schenken?“ Natürlich sei die Substanz des Terrariums nicht optimal, aber immerhin habe man nach der Wende schon 200.000 Mark für Baumaßnahmen investiert. Die neue Stelle als Chef der Reptilien-Abteilung im Aquarium, die Dedekind angeboten worden ist, lehnt der Mann entschieden ab: „Ich bleibe hier.“ Alles andere würde er „als Verrat“ an seinen verstorbenen Ziehvätern empfinden: dem Herbitologen Petzold, dem früheren Chef der Schlangenfarm Krause, und dem ehemaligen Tierpark-Direktor Dathe. Außerdem will er seine Kollegen nicht im Stich lassen. „Lieber reiße ich hier Karten ab, als mich vom Westen kaufen zu lassen.“ Plutonia Plarre
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