piwik no script img

Osman Engin alles getürktKampf um den Ball

Alle meine Kumpels sind heute bei mir zu Besuch. Eingeladen hat die kein Mensch. Aber trotzdem kommt der ganze Haufen zu uns, um das Fußballspiel zwischen Galatasaray und Fenerbahçe zu sehen, das heute Abend in Istanbul stattfindet. Hasan und Nedim sind wie zwei Akrobaten aus dem Küchenfenster geklettert und fummeln an unserer Satellitenschüssel rum, die an der Außenwand des Hauses befestigt ist.

„Mehr zu Wand hin, mehr zu Wand hin“, brüllt Cemal, der Gemüsehändler, aus dem Wohnzimmer und versucht mit allen Tricks den türkischen Sender lebendig einzufangen.

„Ich habe das Ding schon einen halben Meter in die Wand gerammt“, schreit Hasan zurück, der unter Einsatz seines Lebens vom Küchenfenster aus versucht, die Schüssel auszurichten.

„Jetzt ist das Bild ganz weg! Es ist alles schwarz, man sieht ja gar nichts mehr“, schimpft Cemal wieder.

„Das ist der Frauensender aus Teheran, die senden immer so schwarz verschleiert“, rufe ich dazwischen.

„Osman, mach keine blöden Witze, du hättest den Sender ruhig früher einstellen können. Das Spiel läuft bereits seit einer Viertelstunde“, motzt mich Nedim an.

Mitten in dem ganzen Theater klingelt auch noch das Telefon.

Osman Engin

ist Satiriker in Bremen. Zu hören gibt es seine Kolumnen unter www.youtube.com/@osmanengin1916. Sein Longseller ist der Krimi „Tote essen keinen Döner“ (dtv).

„Es steht eins zu null!“, höre ich meinen Freund Ahmet am anderen Ende der Leitung brüllen, der extra für dieses Spiel nach Istanbul geflogen ist. Wir haben die Schüssel zwar immer noch nicht hingekriegt, dafür bekommen wir die Tore live von unserem Privat-Reporter aus Istanbul kommentiert. Aber bevor ich nachfragen kann, welche Mannschaft das Tor geschossen hat, bricht die Leitung zusammen. Hasan ruft verzweifelt von draußen:

„Es klappt einfach nicht! Osman, deine Wohnung liegt für diesen Satelliten völlig falsch!“

„Soll ich etwa die Wohnung um 180 Grad drehen? Ihr habt alle keine Ahnung! Jetzt lass mich mal ran“, rufe ich verärgert und klettere selbst auf die Fensterbank. Mit einer ruckartigen Bewegung reagiere ich meinen Ärger an der blöden Satellitenschüssel ab und verliere prompt den Halt. So schnell habe ich die zwei Etagen bis in den Vorgarten noch nie geschafft.

„Jetzt ist gut, Osman, nicht mehr bewegen“, höre ich meine Kumpels von oben laut Beifall klatschen.

„Ich kann mich sowieso nicht mehr bewegen! Ich habe mir alle Knochen gebrochen!“, jammere ich und werde ohnmächtig.

Im Krankenhaus komme ich wieder zu Bewusstsein und freue mich riesig über den Fernsehapparat in der Ecke, der dieses verhängnisvolle Spiel aus Istanbul zeigt.

Alle meine Kumpels sind heute bei mir zu Besuch. Eingeladen hat die kein Mensch

„Wie steht es denn?“, frage ich mit gequälter Stimme meinen Bettnachbar mit dem buschigen Schnurrbart.

„Keine Ahnung“, stöhnt er leise auf Türkisch, „das Bild kommt und geht. Der Satellit spinnt mal wieder. Deshalb bin ich auch heute vom Balkon runtergefallen.“

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen